Diplom-Ingenieur Johannes Lensch (2. v. l.) lief mit den Workshop-Teilnehmern durch den Ort, um sich Stellen anzuschauen, die nicht gut für Fußgänger sind. Anhand eines Leitfadens sollen der Stadt dann Lösungsoptionen an die Hand gegeben werden. Foto: Orths
Von Friedemann Orths
Neckarbischofsheim. Rasende Autofahrer in Haupt- und Von-Hindenburg-Straße, nur wenige Zentimeter breite Gehwege, kein Durchkommen für Rollator-Nutzer, Rollstuhlfahrer oder Kinderwagen, fehlende Überquerungsmöglichkeiten und allgemein jede Menge brenzlige Stellen: Die Situation für Fußgänger in Neckarbischofsheim ist teilweise erkennbar schlecht. Und weil sich die Stadt selbst ein so schlechtes Urteil gegeben hat, wurde sie beim Landesprogramm "Fuß-Verkehrs-Check" auch als eine von 15 Kommunen ausgewählt und bekommt jetzt professionelle Beratung vom Planungsbüro "Planersocietät". Am vergangenen Freitag und Dienstag wurde es bei einem Workshop beziehungsweise einer Runde durch den Ort konkret.
Gemeinsam mit dem Verkehrs- und Raumplaner Diplom-Ingenieur Johannes Lensch sowie Julia Holzwarth von "Planersocietät" hatten rund 20 Neckarbischofsheimer und Bürgermeister Thomas Seidelmann beim Workshop fleißig rote Punkte auf die Stadt- und Ortsteilkarten geklebt, die für sie Gefahrenstellen haben oder Verbesserungspotenziale darstellen. Zwar wesentlich weniger, aber doch ein paar grüne Punkte für "gute" Stellen wurden auch vergeben.
Zuvor hatte Lensch erklärt, worum es bei den Checks überhaupt geht und Beispiele aus anderen Dörfern und Städten mitgebracht. Man müsse sich unter anderem fragen, was die Leute davon abhalte, zu Fuß zu gehen. Es drehe sich auch darum, Fußwege attraktiver zu gestalten und somit die Aufenthaltsqualität zu verbessern. Seidelmann berichtete beispielhaft davon, dass er erstmals mit "Fußgänger-Augen" die Von-Hindenburg-Straße entlanggeschlendert sei und sich dann gefragt habe: "Wo sind wir hier?" – so "hässlich" habe er den Weg empfunden. "Wir haben wirklich was zu tun", befand er.
Am Dienstag gings beim Rathaus dann los auf eine beispielhafte Route durch die Stadt. Es wurden exemplarisch Stellen herausgesucht, von den Teilnehmern beschrieben und den Fachleuten erklärt. Wichtig dabei war, dass sich die Lösungsansätze an diesen Orten auch an anderen Stellen anwenden lassen, auch in den Ortsteilen. Bemängelt wurde beispielsweise, dass es im Ortskern bei der evangelischen Kirche keinen Fußgängerüberweg zum Rathaus gibt.
Die Kurve und Einmündung in die Schulgasse erschwerten Verkehrsteilnehmern die Sicht, ans Tempolimit von 50 Stundenkilometern würde sich auch oft nicht gehalten, die Kurve lade sogar zum "Driften" ein. "Die Stelle ist lebensgefährlich", konstatierte Gemeinderat Walter Zeller. Also zog Lensch gleich einen seiner größeren Trümpfe, wie er sagte, und gab die Anregung, doch den gesamten Abschnitt zu plätteln. Der Fahrbahnbelagswechsel habe eine große Wirkung, und Autofahrer würden deshalb schon langsamer fahren. Außerdem würde die Ortsmitte dann als ein zusammenhängender Teil wirken. Dass das natürlich auch finanziell ein "großer Klopper" sei, gab der Ingenieur unumwunden zu.
Auch ein Mann mit Sehbehinderung und Blindenhund kam zum Check und wies auf die Probleme hin, die er im Alltag hat: Die Stadt sei "kaum barrierefrei", und wenn er die Hauptstraße beispielsweise auf Höhe des "Neckar-Grills" überqueren wolle, müsse er warten, bis Lkw durch den Kreisel bei der Sparkasse gefahren sind, um andere Autos hören zu können. Ein fehlender Übergang erschwere die Querung zusätzlich. Eventuell wäre ein Zebrastreifen als Verlängerung des Fußweges zum Schlosspark möglich, sagte Lensch. Fazit der Teilnehmer über die Hauptstraße: "Tempo 30 muss sein."
Lob gabs für den Kreisel, der niedrige Schilder und Bepflanzung sowie an jedem Arm Zebrastreifen hat. Kritik dann wieder in der Bahnhofstraße, in der sich ein Gehweg auf nur wenige Zentimeter Breite verengt. Die Fußgängerampel in der Nähe schaltet immerhin recht schnell um, allerdings ist die Kante zur Straße nicht "auf null". Als ein Lkw in der Von-Hindenburg-Straße vorbeibrettert, erwähnte Holzwarth vom Planungsbüro, dass es bei ihr zu Hause in der "Großstadt" leiser sei.
Seidelmann findet, dass die Von-Hindenburg-Straße zum Schnellfahren einlade, eventuell könne man vor dem Naturkostladen einen Zebrastreifen aufbringen – denn laut Leitfaden des Verkehrsministeriums könne in Durchfahrtsstraßen alle 200 Meter einer sein, erklärte Lensch. Dann dürften vor dem Laden allerdings keine Autos mehr parken, was auf dem Land durchaus schlecht fürs Geschäft sein könnte, erwiderten die Einheimischen. Sicher scheint allerdings, dass zumindest ein Abschnitt, nämlich der bei der Seniorentagesstätte und dem künftigen Kindergarten, aus Lärmschutzgründen zu einer 30er-Zone wird. Brenzlig ist es auch an den Ortsausgängen Richtung Flinsbach und Helmhof, denn dort wird viel zu schnell in den Ort gefahren.
Eine weitere Problematik sind die "Elterntaxis" im Ablassweg bei der Grundschule. Eine Option könnte sein, sagte Lensch, die Straße einfach zeitlich zu sperren. An sogenannten "Laufbus"-Haltestellen könnten die Eltern ihre Kinder dann rauslassen. Das funktioniere in Bietigheim bei Karlsruhe schon ganz gut. Ebenfalls eine Gefahrenstelle ist die Kreuzung Ablassweg/Schulgasse/Gartenstraße/Turmstraße/Bürgermeister-Neuwirth-Straße – dort treffen fünf Straßen aufeinander, und das auf einem Schulweg. Vielleicht könne man die Einfahrt in die Bürgermeister-Neuwirt-Straße von dieser Kreuzung verbieten und sie so zu einer Einbahnstraße machen, lautete ein Gedanke.
Lensch notierte alles und wird der Stadt einen Leitfaden erstellen. Mit dem habe man bei den Verkehrsbehörden, die für die Landes- und Kreisstraßen zuständig sind, immerhin mehr Chancen auf Veränderung als ohne. Die Ergebnisse werden am 13. Mai, 15 Uhr, in der Aula der Grundschule und später auch im Gemeinderat präsentiert.