So kam es zum versuchten Totschlag auf dem Stadtfest Sinsheim
Das 23-jährige Opfer schwebt noch immer in Lebensgefahr. Der Täter sitzt mittlerweile in Haft.

Die Fußgängerzone in Sinsheim, Schauplatz einer körperlichen Auseinandersetzung am Rand des Stadtfestes. Ein 23-Jähriger liegt seither im Koma. Der Fall wirft Fragen auf. Symbolfoto: Armin Guzy
Von Anjoulih Pawelka
Sinsheim. Eigentlich wollte er nur auf dem Stadtfest einen schönen Abend verbringen, jetzt liegt er im künstlichen Koma, schwebt noch immer in Lebensgefahr: der 23-jährige Mann, der am frühen Sonntagmorgen, 20. Juli, von einem 19-Jährigen zu Boden gestoßen wurde und dabei ein schweres Schädel-Hirn-Trauma erlitt.
Der Vorfall bewegt viele und inzwischen hat sich eine Zeugin und Ersthelferin bei der RNZ gemeldet und berichtet, wie sie den Vorfall erlebt hat: Ihren Namen möchte sie in der Zeitung lieber nicht lesen, daher nennen wir sie Sina. Die Zeugin ist der Redaktion aber bekannt, ebenso wie die Autorin das Opfer entfernt kennt. Ihre Schilderungen und auch die ungenauen Angaben der Polizei legen nahe, dass bei dem Vorfall wohl einiges schiefgelaufen ist.
Es ist der Sonntag am Stadtfest. Morgens um 4.30 Uhr. Sina hat gerade ihre Arbeit beendet, sitzt mit den Kollegen zusammen und lässt die anstrengende Nacht ausklingen. Während sie sich mit ihren Kollegen unterhält, kann sie beobachten, wie 50 Meter weiter in der Fußgängerzone eine Gruppe junger Männer streitet. Fünf seien das gewesen erzählt Sina.
Sie hatte den Eindruck, dass sie alle alkoholisiert waren. Auf Nachfrage wird die Pressestelle der Polizei später sagen, dass im Bericht nichts von einem Atemalkoholtest steht. Aber, so der Polizeisprecher, er könnte trotzdem gemacht worden sein. Sina hat das nicht gesehen. Dafür aber folgendes: Der mutmaßliche Täter mit drei Freunden auf der einen, das Opfer auf der anderen Seite.
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Die Männer schreien sich an, dann kommt es zu einer Schubserei. Dabei wird das Opfer von zwei Männern festgehalten, ein anderer schubst weiter, schlägt vielleicht zu. So genau ist das aus der Entfernung nicht festzustellen. Dann lassen die beiden Männer den 23-Jährigen los. Er fällt zu Boden.
"Wir haben einen lauten Aufschlag gehört." Sina weiß sofort, dass etwas Schlimmes passiert ist. Sie bittet ihre Kollegen mitzukommen, rennt zur Unfallstelle. Das Opfer liegt bewusstlos am Boden. Sina bringt ihn sofort in die stabile Seitenlage. Gut, dass sie eigentlich in der Gesundheitsbranche arbeitet, genau weiß, was sie tut. Das Opfer hat extremen Speichelfluss. "Da wusste ich sofort, dass was im Kopf ist", sagt sie. Geblutet habe er aber nicht.
Während sie das Opfer versorgt, ruft eine Kollegin den Notarzt, rennen zwei Männer aus der Gruppe, mit denen der mutmaßliche Täter unterwegs war, weg, die anderen beiden diskutieren, wer daran schuld sei, dass das Opfer nun bewusstlos auf dem Boden liegt. Sie schieben sich gegenseitig die Schuld zu.
Bis der Krankenwagen gekommen sei, habe es zwischen 10 und 15 Minuten gedauert, erzählt Sina. Zwischenzeitlich kommt das Opfer wieder zu sich, schafft es aber nicht aufzustehen. Irgendwann kommt das DRK, kann aber nicht in die Fußgängerzone fahren. Also gehen die Sanitäter zu Fuß, aber ohne Trage. Sie wollen, dass das Opfer läuft. Als sie merken, dass das nicht geht, holen sie das Fahrzeug und die Trage.
Auch die Polizei ist mittlerweile da. Mit zwei Streifen, wie ein Sprecher der Polizei auf Nachfrage dieser Zeitung sagt. Sina erzählt, dass die Polizei keine Personalien aufgenommen hat. Im Polizeibericht, der dem Pressesprecher beim Gespräch mit der RNZ nicht komplett, sondern nur in Auszügen vorliegt, gibt es dazu keinen Vermerk.
Sie fragten lediglich den mutmaßlichen Täter nach seinem Ausweis, erzählt Sina. Als dieser sagte, er habe keinen dabei, sei das für die Polizei erledigt gewesen. Auch ihre Daten habe die Polizei nicht aufgenommen, berichtet sie.
Informationen der RNZ zufolge, kam das Opfer offenbar erst einmal ins Krankenhaus nach Sinsheim, wird später nach Heidelberg verlegt. In Heidelberg werden Blutungen im Kopf diagnostiziert. Das Opfer wird zwei Mal operiert, liegt seither im künstlichen Koma, schwebt immer noch in Lebensgefahr.
Ob er das überlebt und jemals wieder gesund wird, "das steht alles in den Sternen", sagt Sina. Sie besucht das Opfer oft im Krankenhaus. Auch wenn sie ihn nicht persönlich kenne, er sei ja ein Freund ihrer Freunde. Außerdem sei sie die Erste gewesen, die ihm geholfen habe.
Manchmal stellt sich Sina auch die Frage, ob überhaupt jemand geholfen hätte. Immerhin seien auch Menschen an der Unglücksstelle vorbeigekommen, die ihr gesagt hätten, sie solle das doch lassen. Das sollten die Männer selbst klären.
Erst acht Tage später schickt die Polizei eine Pressemitteilung, dass sie Zeugen suche, die den Vorfall beobachtet haben. Der mutmaßliche Täter ist mittlerweile ermittelt, sitzt in Untersuchungshaft. Es geht um versuchten Totschlag. Die Kriminalpolizei Heidelberg ermittelt. Bei Sina hat sich die Polizei erst elf Tage später gemeldet. Über den rückverfolgten Notruf, den Sinas Kollegin gewählt hatte, kannte die Polizei aber ihren Namen und ihre Adresse schon viel länger.