Singen unter dem Maibaum. Vereine haben in der Corona-Krise ihre ganz spezifischen Probleme. Archivfoto: Tim Kegel
Von Tim Kegel
Sinsheim. Rund 360 Vereine gibt es in Sinsheim, vom kleinen, hoch speziellen Verein der Aquarienfreunde bis hin zum großen Turnverein Sinsheim mit seinen über 1200 Mitgliedern. Die Corona-Krise stellt sie alle vor ganz spezifische Probleme. Ein Einblick:
Kürzlich hat der Dührener Gesangverein Frohsinn seine Mitglieder viel beachtet zur Online-Probe zusammengetrommelt. Der seit dem 19. Jahrhundert bestehende Verein hat seit kurzem eine neue Dirigentin, sucht händeringend Neumitglieder. Beim ersten virtuellen Singen waren neun Personen – allesamt Frauen – eingeloggt.
Ähnlich wollte es das Sinsheimer Vokalensemble machen. Zupackend, wurde anfangs eine "Chorona"-Gruppe bei "WhatsApp" gegründet. "Ziel war, den Chor beisammen zu halten", sagt Vorsitzende Margarete Hertel; die 30 bis 40 Mitglieder stünden in Kontakt. Auch Proben zuhause wurden organisiert. Inzwischen greife aber auch Ungewissheit um sich: Dem Fünf-Stufen-Plan der Landesregierung entnimmt sie, "dass Sänger und Bläser zu den letzten gehören", die aktiv werden könnten. Und wo werden sie in der Regel aktiv? Veranstaltungen mit größerem Publikum, Festivitäten, Konzerte und Volksfeste. Es gab, sagt Hertel, "Überlegungen, den Bewohnern in Altenheimen ein Platzkonzert zu geben". Das relativ einfache Liedgut könne man – anders als bei einem Oratorium – "auch mit Video-Proben üben". Doch scheiterten solche Ideen momentan daran, "dass Chöre die Abstandsregeln nicht einhalten können". Sie befürchtet, "dass, wenn es blöd läuft, ein normaler Konzertbetrieb in diesem Jahr nicht mehr möglich sein könnte".
"Meldegelder, Schiedsrichtergebühren, Fahrtkosten, Hallenmieten, die Vergütung von Trainern und Übungsleitern, Trikots, Bälle" – Hertels Mann Alexander, der auch Stadtrat ist, ist Vorsitzender des Fördervereins der Handballer im TV Sinsheim. Er zählt die laufenden Kosten von Vereinen auf. Abseits des Sports seien es "Honorare von Referenten oder Gastmusikern, Instrumente oder Noten, Tierfutter und in jedem Fall Strom, Versicherungen, Miete."
Die Handballer – das weiß Hertel – "finanzieren einen Großteil ihrer Kosten über den Barbetrieb beim Stadtfest". Fällt dieses aus, wie in diesem Jahr, brächen "zigtausende Euro weg"; anderen Vereinen gehe es genauso: "Die Sinsheimer Vereine sind finanziell alle nicht gut gepolstert", sagt Hertel. "Höchst besorgt" um die Vereinswelt ist auch Sinsheims Oberbürgermeister Jörg Albrecht: Allein am Maifeiertag im Jahr 2019 hat er "neun Vereinsfeste besucht" – vom traditionsreichen Fest der Jugendfeuerwehr in der Sommerhälde übers Grillen der SPD von Waldangelloch bis hin zum Café beim Hoffenheimer Heimatverein. "Überall waren es Hunderte Besucher." Diese "Feschtles", gerade in der Frühlingszeit, dienten dazu, die nach dem Winter oft leeren Kassen der Vereine zu füllen. Und noch spricht es zwar keiner an, trotzdem gilt es als wahrscheinlich, dass die städtischen Vereinsfördermittel im Krisenjahr knapp ausfallen – oder ganz.
Es gehe aber um viel mehr als nur ums Geld, es sei ein "strukturelles Problem". Albrecht erlebt es privat und erzählt von einer seiner Töchter. Sie ist Leistungsturnerin. "Nach dieser Zeit", fürchtet er, "wird sie das nie mehr aufholen können, weil der Tag mit und ohne Corona nur 24 Stunden hat." Die Trainingsausfälle, der Nachholbedarf beim Schulunterricht und auch die Rückbildung der Muskulatur meint Albrecht, der sich als "ein Vereinsmeier" bezeichnet, damit genauso, wie dass sich "in Zeiten des ruhenden Vereinslebens neue Interessen und Verhaltensweisen ausbilden" könnten: der Jugendtrainer, der sich ans Radfahren als Freizeitbeschäftigung gewöhnt hat; die Dorffest-Köchin, die nach 30 Jahren nun zur Einsicht kommt: "Jetzt fang’ ich’s auch nimmer an"; die Jugendlichen im Sozialen Netzwerk, die plötzlich merken: "Wir treffen uns ja auch ganz ohne Sport." Handball-Förderer Hertel hingegen lobt die Sozialen Netzwerke: Diese hielten "die Leute zusammen". Er glaubt, dass die Mehrheit im Verein "danach lechzt", sich wieder physisch zu begegnen.
Allerdings zählen bei Vereinen mit hohem Altersdurchschnitt viele Mitglieder selbst zur Covid-19-Risikogruppe. Landfrauen-Vorsitzende Ingunde Zoller kennt die ambivalente Situation: Sie sorgt sich, dass gerade ältere Mitglieder "sich irgendwann nicht mehr aufraffen wollen". Sie selbst hat das Mehr an freier Zeit "auch positiv" erlebt, war "mal wieder Fahrradfahren" mit ihrem Mann Friedhelm, selbst Stadtrat und "viel beschäftigt". Zoller hält Telefonkontakt, kommuniziere "über ,WhatsApp’, mit denen, die es nutzen" um den Zusammenhalt der Rohrbacher Landfrauen zu stärken. Sie freut sich "wahnsinnig, wenn es wieder losgeht". Wie es dann aber sein wird, "kann man wirklich nicht wissen".