Thomas Seidelmann, hier mit seiner Frau, erhielt im zweiten Wahlgang 51,8 Prozent der Stimmen. Foto: Orths
Von Friedemann Orths
Neckarbischofsheim. Die Stadt hat einen neuen Bürgermeister. Thomas Seidelmann erhielt im entscheidenden zweiten Wahlgang am Sonntag 51,8 Prozent der Stimmen der Wählerinnen und Wähler aus der Kernstadt, Helmhof und Untergimpern. 46,93 Prozent wählten Tanja Grether. Dauerkandidat Samuel Speitelsbach bekam 0,5 Prozent. Sonstige Namen, die auf die Stimmzettel geschrieben wurden, machen 0,78 Prozent aus. Wahlberechtigt waren 3167 Bürger; die Wahlbeteiligung lag bei 59,11 Prozent. Beim ersten Wahlgang lag sie bei 62 Prozent.
"Das Ergebnis ist toll", sagte Seidelmann. Er sei in diesem Moment "die dankbarste Person auf dieser Welt, dass der Scheiß vorbei ist", befand er im Rückblick auf den Wahlkampf. Hätte er im Voraus gewusst, wie sich dieser entwickelt habe und welche Erfahrungen er dort habe machen müssen, "hätte ich’s bleiben lassen". Aber jetzt freue er sich auf das Amt. Zwar habe Tanja Grether ein paar Punkte gutgemacht, aber "1. Platz ist 1. Platz". Den Abend wollte er mit "ein bis zwei guten Rotweinchen" und mit Familie und Freunden verbringen. Er hoffe nun, dass es "im Nachklapp keine Schlammschlacht" gebe. "Ich hätte mir gewünscht, dass das Ganze etwas anders abläuft."
Tanja Grether, deren Mutter ebenfalls vor Ort war, dankte ihren Wählern, "die mich in den letzten Wochen unterstützt haben – von ganzem Herzen". Sie respektiere "jeden einzelnen Wähler mit seiner Stimme". Es habe es einen Wahlkampf gegeben, "den es zu analysieren" gelte. Sie müsse jetzt eine Nacht drüber schlafen. "Für heute Abend gratuliere ich dem Wahlsieger", sagte Grether, die jetzt noch bis zum 31. Juli im Amt ist.
Im ersten Wahlgang vor zwei Wochen hatte sich schon abgezeichnet, dass der 53-jährige Seidelmann der neue Bürgermeister werden würde. Der Unternehmer hatte knapp 45 Prozent erhalten, die benötigte absolute Mehrheit jedoch um 5 Prozent verpasst. Grether, 47 Jahre alt, hatte 31 Prozent bekommen. Acht Jahre zuvor war die Juristin noch mit knapp 80 Prozent ins Bürgermeisteramt gewählt worden. Der dritte Kandidat, Harry Hack, der ebenfalls schon vor acht Jahren angetreten war, hatte vor zwei Wochen 22,5 Prozent erhalten und anschließend seine Kandidatur zurückgezogen.
Diese Wahl sorgte für Furore. Womöglich sogar deshalb, weil es aufgrund der Corona-Pandemie keine offizielle Kandidatenvorstellung gegeben hatte. Es gab nicht nur einen zweiten Wahlgang, sondern auch einen überaus harten Wahlkampf, der aufgrund der Pandemie dann hauptsächlich auf Facebook geführt wurde. Unterstützer beider Kandidaten griffen sich teilweise mit Kommentaren an, die viele als "unter der Gürtellinie" bezeichneten. Mehrere Neckarbischofsheimer äußerten daraufhin, Angst vor "verbrannter Erde" oder einem nachhaltig gestörten Gemeinschaftsgefühl der Neckarbischofsheimer zu haben.
Beide Seiten berichteten zudem, bedroht worden zu sein. Seidelmann sprach von drei anonymen Drohbriefen, die er bekommen habe. Stadtrat Rüdiger Knapp gab ebenfalls an, beschimpft worden zu sein. Er löschte daraufhin sogar sein Facebook-Profil, wie er der RNZ sagte. Ein anderer Facebook-Nutzer schrieb von Drohungen im vulgären Ton über den Messenger "Snapchat".
Den Höhepunkt erreichte der Wahlkampf, der "für den Außenstehenden häufig eine schlechte Komödie" darstellen musste, wie es ein Facebook-Nutzer formulierte, schließlich in der vergangenen Woche: Ein Facebook-Profil mit dem Namen "Karl Mayer" entpuppte sich als das von CDU-Ehrenmitglied Inge Grether, Tanja Grethers Mutter aus Ettlingen. Thomas Seidelmann war in einer E-Mail von Facebook benachrichtigt worden, dass ein Kommentar, der eigentlich von "Karl Mayer" abgesetzt werden sollte, von Tanja Grethers Profil geschrieben worden war.
Offenbar hatten Tanja Grether und ihre Mutter anstatt mit dem "Karl Mayer"-Profil mit Tanja Grethers Profil kommentiert. Der Beitrag wurde zwar gelöscht, doch nachdem Thomas Seidelmann in einem Facebook-Video auf "Karl Mayer" aufmerksam gemacht hatte, räumte Inge Grether ein, hinter dem Account zu stecken. Sie habe ihre Tochter schützen wollen und sei dabei lieber anonym geblieben. Auch Tanja Grether sagte dann im Telefonat mit der RNZ: "Karl Mayer ist meine Mutter."
Vor dem zweiten Wahlgang hatten manche Leser gegenüber der RNZ geäußert, dass sie froh seien, wenn das alles endlich vorüber sei. Für Thomas Seidelmann beginnt jetzt aber erst die Arbeit. Zu den nicht einfachen Aufgaben im Alltagsgeschäft eines Bürgermeisters einer finanzschwachen Kommune werden die noch nicht abschätzbaren Auswirkungen der Corona-Krise hinzukommen. Und auch an anderer Stelle wird viel zu tun sein: Auch er wird als Stadtoberhaupt die Wogen nach der Wahl zu glätten haben.
Update: Sonntag, 24. Mai 2020, 21.30 Uhr