Von Tim Kegel und Christian Beck
Sinsheim. Nicht nur in Zeiten des Wahlkampfs ist günstiger Wohnraum ein Thema, das immer wieder in der Stadt diskutiert wird. Wie das Thema betrachtet wird, ist natürlich immer eine Frage des Blickwinkels. Die RNZ fragte deshalb nach: bei jenen, die täglich mit Wohnungssuchenden zu tun haben. Bei jenen, die sich um Wohnraum kümmern. Und fragte bei jenen, die es nicht tun, nach den Gründen. Ein Überblick:
> "Es tut mir manchmal so weh" - das sagt Ortrud Ost-Scheurlen, Sozialberaterin von der Diakonie, über Menschen, die bei ihr um Hilfe bitten. Eine ältere und gesundheitlich angeschlagene Frau sammele Flaschen aus den Mülltonnen, um Geld für die Miete aufbringen zu können. Aus dem selben Grund esse ein Sinsheimer nur das billigste und fahre stets mit dem Fahrrad, weil er so die Busfahrkarte nicht bezahlen müsse. Das Grundproblem sei häufig recht ähnlich: Diese Personen seien krank oder alt und bekämen wenig Rente. Und das Sozialamt betrachte deren Wohnung oft als unangemessen. Unangemessen groß, oder unangemessen teuer.
Wer das sogenannte "Hartz IV" bezieht, bekomme als Alleinstehender maximal 45 Quadratmeter für 381 Euro Miete inklusive kalter Nebenkosten finanziert. Bei vier Personen seien es 90 Quadratmeter zu 596 Euro. "Solche Wohnungen findet man auf dem Markt nicht. Und wenn doch, dann in keinem guten Zustand", betont Ost-Scheurlen. Also sparten deren Bewohner beispielsweise am Essen.
Oder gingen, wie eine weitere Sinsheimerin, als Rentnerin zwei Nebenjobs nach. Wie könnte sich die Situation für die Menschen verbessern? "Es müsste mehr öffentlichen Wohnraum geben, auch behindertengerecht", findet die Sozialberaterin.
> Preisgünstiger Wohnraum - solchen zu schaffen, war bei der Stadtentwicklung Sinsheims in der jüngeren Vergangenheit kein vorrangiges Ziel, wie einige Beispiele von Investorenseite zeigen: Die entstehenden 66 Wohnungen im neuen Wohnquartier Elsenz Mitte auf dem früheren Zweydinger-Areal sind Eigentumswohnungen im mittleren bis gehobenen Preissegment, ebenso das Wohnen im Turm des "UP1"-Projekts im Schwimmbadweg. Die Wohnungen im neuen Postquartier in der Muthstraße sind Mietwohnungen, ebenfalls hochpreisig. Große Teile der günstigeren Immobilien in Sinsheim sind in den 1970er- bis in die frühen 2000er-Jahre entstanden, etwa in Teilen der Südstadt, der westlichen Gartenstadt oder der Oststadt.
> "In aller Munde" sei die Schaffung günstigen Wohnraums, sagt der städtische Baudezernent Tobias Schutz. Stadträte holten das Thema regelmäßig aufs Tapet, mehrfach wurde die Gründung einer städtischen Wohnbaugesellschaft angeregt. Schutz sagt vorweg, dass die Bereitstellung günstiger Wohnungen "nicht die originäre Ausgabe einer Kommune" sein könne. Es bedürfe eines politischen und privaten Willens, man müsse sich "volkswirtschaftlich zusammentun". Begrenzte Flächen, steigende Bauvorschriften, die Nullzinspolitik, eine hohe Nachfrage mit entsprechender Konjunktur hätten zur Folge, "dass man fast nicht mehr günstig bauen kann", beteuert Schutz.
> Mehr Interessenten als Wohnungen: Werden Wohnungen frei, stehen Interessenten Schlange. Peter Flaig, Geschäftsführer der Baugenossenschaft Sinsheim, spricht "nach Bauchgefühl" von "täglich zwei und somit jährlich etwa 400 Anfragen". Die Baugenossenschaft Sinsheim vermietet 148 Wohnungen im Stadtgebiet, Leerstände sind zurzeit an einer Hand abzuzählen, und in der Regel werden diese Wohnungen dann saniert. Seine Vermietungsverhältnisse sind oft langfristig, "20 Jahre und länger", sagt Flaig. Fünf Mieterwechsel hat es im vergangenen Jahr gegeben - eher viele im Vergleich zu anderen Jahren, weiß Flaig.
Ein ähnliches Bild ergibt sich bei den rund 200 Wohnungen, die die Stadt Sinsheim als Unterkunft vermietet - oft Altbauten auf eher einfachem Standard, wie Schutz sagt. Allerdings kaufe die Verwaltung in der heutigen Zeit keine Wohngebäude mehr, um sie günstig vermieten zu können: "Subventionieren dürfen wir nicht."
> Einen offiziellen Mietspiegel von Sinsheim gibt es nicht. Im teuersten Objekt im Bestand der Baugenossenschaft in der Sinsheimer Innenstadt werden 8,50 Euro pro Quadratmeter fällig; im günstigsten sind es knapp über fünf Euro. Fachleute in Sinsheim sprechen, je nach Quelle, von einem Durchschnittmietpreis von sieben bis acht Euro pro Quadratmeter, es würden aber inzwischen auch Spitzenpreise zwischen zehn und zwölf Euro erzielt.
> Wer kaufen möchte, sucht ebenfalls oft nach bezahlbarem Wohnraum: "Es ist Wohnraum auf dem Markt, aber wir bewegen uns am oberen Limit der Preisgrenze", erklärt Thorsten Nimzik., Geschäftsführer der Sparkassen-Immobilien Kraichgau. Familien beispielsweise suchten in Sinsheim häufig nach Reihenhäusern, Doppelhaushälften oder Wohnungen. Doch hier wie anderswo habe es eine Preisexplosion gegeben.
Dabei spiele auch die Ansiedlung von Firmen eine Rolle; Niemzik nennt beispielsweise den Neubau der Lidl-Zentrale in Bad Wimpfen, der das Preisgefüge in der Stauferstadt deutlich verschoben hat. Er betont, wie wichtig gute Beratung beim Immobilienkauf sei. Denn manche Finanzierungsvorstellung sei zu sehr auf Kante genäht. Hin und wieder müsse der Wunsch nach dem gewünschten Eigenheim deshalb abgelehnt werden.
> Hohe Grundstückskosten: Es gibt einen Anstieg von den Stadtteilen Sinsheims in Richtung Kernstadt. In den Bergdörfern Adersbach, Ehrstädt und Hasselbach sind Quadratmeterpreise zwischen 120 und 150 Euro üblich, in der Kernstadt werden mitunter bis zu 500 Euro und mehr aufgerufen. Im Neubaugebiet von Hoffenheim, welches die Stadt Sinsheim jüngst erschlossen hat, werden "im Mittel zwischen 280 und 300 Euro" fällig, sagt Baudezernent Tobias Schutz.
Hohe Bodenpreise seien eine von mehreren Hürden für Kommunen bei der Schaffung günstigen Wohnraums, zumal sich die wenigen Flächen, die bebaut werden könnten, oft nicht in städtischer Hand befänden, schildert Schutz. "Auf teurem Boden wächst kein günstiger Wohnraum", sagt auch Peter Flaig von der Baugenossenschaft.
> Große Hürden wirkten sich aufs Preisgefüge aus. Tobias Schutz spricht von massiv gestiegenen Auflagen und neuen Verordnungen. Dies reiche vom Brandschutz über energetische Belange und die Statik bis hin zur Barrierefreiheit; von der Begrünung von Fassaden bis hin zur ab einer gewissen Anzahl von Wohneinheiten geforderten Abstellfläche für Fahrräder. Hinzu kämen beim innerörtlichen Bauen Abstandsflächen, Regularien fürs Bauen in die Höhe, im Außenbereich Belange des Hochwasser-, Arten- und Landschaftsschutzes.
"Oft zurecht", wie Schutz relativiert; mitunter fehlt dem Dezernenten jedoch "das Augenmaß" hinter mancher Auflage, etwa wenn in ländlichen Gebieten Kinderspielplätze oder spezielle Begrünungen gefordert werden. Regularien jedoch, die Kommunen, Bauträger, Bauwillige, Vermieter und Mieter beträfen - und Kosten verursachten.