Von Falk-Stéphane Dezort
Bad Rappenau/Heilbronn. Vor dem Heilbronner Landgericht muss sich seit Mittwoch ein 24-jähriger Deutscher mit somalischen Wurzeln verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft im vor, während einer handgreiflichen Auseinandersetzung nach einem Club-Besuch in der Nacht auf den 9. Dezember 2018 auf dem nahegelegenen Parkplatz des Kraichgau-Raiffeisenzentrums in Bad Rappenau mit einem Auto auf eine Personengruppe zugefahren zu sein, "um sie gezielt zu erfassen". Hierbei soll er den möglichen Tod der Geschädigten billigend in Kauf genommen haben.
"Ich bin der Fahrer", eröffnet der Angeklagte A. aus Viernheim seine Aussage. "Ich bin mit dem Auto normal angefahren gekommen, und nicht mit der Absicht, einen Menschen zu töten. Wenn ich das gewollt hätte, wäre ich reingefahren – ohne Gnade." Auf die Frage, warum er überhaupt gefahren ist, antwortete A., dass er "seine Leute" aus dem Tumult holen wollte. Sie sollten einsteigen, damit sie fliehen können. Er habe mit dem Auto direkt in der Menschenmenge gestanden und auch eine Person vor dem Auto liegen gesehen. "Ich bin nicht losgefahren. Wäre ich losgefahren, dann wäre ich drüber gefahren." Der vorbestrafte Angeklagte sagt, er sei rückwärts gefahren und habe nicht gesehen, dass dort jemand steht. "Ich hätte in dem Moment nicht einmal gemerkt, wenn es Freunde von mir gewesen wären."
Allerdings lassen sich die Bilder von der Überwachungskamera des Einkaufsladens anders interpretieren. In einer Einstellung ist zu sehen, wie der Angeklagte in das Auto steigt und ein Begleiter bei offener Tür mit ihm spricht, während A. den Wagen rückwärts bewegt. In einer anderen Perspektive ist zu erkennen, wie das Auto angefahren kommt und der Fahrer in die Menschenmenge steuert. Darüber hinaus wird der Geschädigte und Nebenkläger T. vor das Auto gezerrt. Anschließend setzt sich das Fahrzeug zwei Mal vorwärts in Bewegung, ehe es, "mit mindestens 23 Kilometern pro Stunde" wie die Staatsanwaltschaft vorträgt, zurücksetzt, dabei zwei Menschen (B. und A.) erfasst und mehrere Meter mitschleift. Daraufhin flieht der Angeklagte mit dem Auto und seinen Freunden.
Ein Freund des Angeklagten hat laut dem Richter bei der polizeilichen Vernehmung erklärt, dass er A. den Autoschlüssel gegeben hat, weil der 24-Jährige meinte: "Damit ich die Leute verscheuchen kann." Davon sei nie die Rede gewesen, antwortete A. "Ich habe gesagt, dass wir hier schnell wegmüssen. Ein solche Aussage gab es nicht."
Unklar bleibt nach dem ersten Verhandlungstag aber nach wie vor, wie es zur vorausgegangenen handgreiflichen Auseinandersetzung gekommen ist. Auch die Aussagen der drei Nebenkläger, die zunächst ihre Zeugenaussage machten, gaben keinen Aufschluss darüber, sondern offenbarten eher Unstimmigkeiten. So berichtete B., dass T., mit dem er den großen Teil des Abends verbracht habe, bereits im Club in eine verbale Auseinandersetzung mit "drei, vier Fremden" verwickelt gewesen sein soll. T. selbst kann sich, wie er sagt, nicht daran erinnern. Aber: "Ich glaube B., wenn er das sagt." D., Nebenkläger Nummer drei, hat von einer Diskussion hingegen "nichts mitbekommen". Und auch der Angeklagte hatte zuvor ausgesagt, dass die Lage im Club ruhig gewesen sei und man gefeiert habe.
Beim Verlassen der Discothek habe der 27-jährige B. dann T. gesehen, wie er auf Nachfrage der Verteidigerin "nicht normal", sondern "hochwahrscheinlich aggressiv", in eine Menschenmenge gelaufen sein soll. Dabei hätten fünf bis sechs Männer auf den heute 25-jährigen T. eingeschlagen, sodass B. ihm zu Hilfe geeilt sei, um "einen Freund zu beschützen".
T. beschreibt das Geschehen anders. Er habe den Club von seinen Freunden als erster verlassen, weil er betrunken und ihm schlecht gewesen sei. "Ich habe Ruhe gesucht", sagte er. Zudem versuchte er, mit seinem Handy ein Taxi für die Heimfahrt nach Mosbach zu rufen. Dabei sei er von einer Gruppe angesprochen worden, ob "ich ein Problem habe". Da er keinen Streit wollte, habe er nicht geantwortet. "Dann haben sie gesagt, dass ich sie nicht ignorieren soll. Das sei respektlos." Daraufhin seien sie näher auf ihn zugekommen. "Und schon kamen Fäuste. Ich wurde heftig zusammengeschlagen und getreten. Ich war wie weggetreten", schilderte B. "Das kam mir vor wie eine Ewigkeit."
Alle drei Nebenkläger, die laut Aussage noch immer traumatisiert und schockiert sind und teils körperlich wie geistig mit den Folgen der Verletzungen zu kämpfen haben, gaben in ihren Aussagen an, dass sie den Angeklagten im Club nicht wahrgenommen haben. Und auch auf dem Parkplatz bei der Schlägerei hätten sie ihn nicht im Tumult gesehen.
Zudem lassen B.’s Ausführungen für das Gericht die Vermutung aufkommen, dass neben der Viernheimer Gruppe um den Angeklagten sowie den Nebenklägern aus Mosbach noch eine dritte Gruppe beteiligt gewesen sein muss. Denn auf einem vom Club im Internet veröffentlichten Foto des Tatabends will B. drei Männer erkannt haben, die zunächst in der verbalen, dann in der handgreiflichen Auseinandersetzung verwickelt gewesen sein sollen. Allerdings kommen die Männer aus Wiesloch. Zudem gab B. bei der polizeilichen Vernehmung bekannt, dass man, als er am Boden lag, gesagt habe: "Uns Wiesbadener ignoriert man nicht." Für das Gericht könnte das ein Verständnisfehler sein und somit "Wiesloch" statt "Wiesbaden" gemeint sein. T. konnte sich bei seiner Aussage nicht erinnern.
"Man hat das Gefühl, dass einer angefangen hat und dann alle mitgemacht haben", sagte der Richter. "Irgendwann war es dann ,alle gegen Jeden‘." Für den Richter gebe es zwei Dinge zu klären: "Die Geschichte bis zum Auto und die Geschichte am Auto." Während die Kameras bei Punkt zwei Beweismaterial liefern, ist die Antwort auf das Warum noch immer offen.
Die Verhandlung, für die sechs Tage angesetzt und 20 Zeugen geladen sind, wird fortgesetzt.
Update: Mittwoch, 13. Januar 2021, 20.30 Uhr
Mit Auto bei Schlägerei in Personengruppe gefahren
Erneuter schwerer Zwischenfall im Umfeld einer Diskothek - Verletzte weigerten sich, ins Krankenhaus zu gehen
Bad Rappenau. (guz) Zwei heftige Auseinandersetzung wenige Wochen nacheinander werfen Fragen auf und ziehen umfangreiche Ermittlungen der Polizei nach sich. Erst Ende September hatten zwei Personengruppen in der Raiffeisenstraße eine Auseinandersetzung mit Fäusten, Baseballschlägern und wohl auch mit mindestens einer Schreckschusswaffe ausgetragen. Am Sonntagmorgen kam es nun ebenfalls in der Raiffeisenstraße in Bad Rappenau erneut zu einem gravierenden Zwischenfall, bei dem ein Auto offenbar als Waffe eingesetzt wurde. Am Ende mussten drei Verletzte versorgt werden.
Symbolfoto: dpa
Über die Hintergründe der aktuellen Auseinandersetzung ist derzeit laut Polizei ebenso wenig bekannt, wie über den Auslöser des Streits im September. Es sei noch nicht klar, ob es sich in beiden Fällen um die gleichen Gruppierungen handle, sagte ein Sprecher des Heilbronner Polizeipräsidiums auf RNZ-Nachfrage. Die Ermittlungen werden wegen der großen Zahl der Beteiligten vermutlich längere Zeit dauern. Ermittelt werde mindestens wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, unter Umständen aber auch wegen versuchten Totschlags.
15 bis 20 Personen hatten sich am Sonntagmorgen kurz nach 5 Uhr auf dem Parkplatz eines Einkaufsmarktes geprügelt. Als gerade die Fäuste und offenbar auch Holzlatten im Einsatz waren, fuhr laut Polizei ein silbernes Auto mit aufheulendem Motor und offensichtlich mit voller Absicht des Fahrers rückwärts in die Menge. Drei Männer im Alter 23, 25 und 27 Jahren wurden vom Fahrzeug erfasst und zum Teil erheblich verletzt.
Der unbekannte Autofahrer gab Gas und flüchtete. Aus der Menge heraus wurde der Wagen mit Steinen beworfen, wodurch mindestens eine Scheibe zu Bruch ging. Was der Polizei besonders zu denken gibt: Seltsamerweise weigerten sich zwei der Männer, ins Krankenhaus mitzufahren – trotz ihrer schweren Verletzungen und der dringenden Aufforderung des Notarztes.
Bei der Auseinandersetzung Ende September hatte ein Beteiligter schwere Gesichtsverletzungen davongetragen. Auch an jenem Sonntagmorgen waren zwei Gruppen auf einem Parkplatz in der Raiffeisenstraße aufeinander losgegangen. Der Schauplatz liegt nahe der Diskothek "Malinki Club".
Die Polizei sucht nun nach dem silbernen Auto, bei dem es sich eventuell um einen Citroën oder Peugeot mit Heppenheimer Kennzeichen (HP) handeln soll, und dem unbekannten Fahrer des Wagens. Hinweise auf dieses Fahrzeug und auf die Geschehnisse vor und eventuell auch in der dortigen Diskothek werden erbeten an den Polizeiposten Bad Rappenau, Telefon 07264 5900.
Update: Montag, 10. Dezember 2018, 13.30 Uhr