Patt im Gemeinderat führt zum Bürgerentscheid über Rainbach-Projekt
Es kommt zur Abstimmung über das umstrittene Bauprojekt am Tag der Bundestagswahl.

Von Christoph Moll
Neckargemünd. Nicht nur im englischen Wembley-Stadion war es am Dienstagabend spannend, sondern auch in der Aula des Neckargemünder Schulzentrums. Während sich die deutsche Nationalelf mit einer 0:2-Niederlage aus der Fußball-Europameisterschaft verabschiedete, lautete das Ergebnis in Neckargemünd 14:14. Ein Stimmenpatt führte in der mit Spannung erwarteten und entscheidenden Abstimmung dazu, dass es am Sonntag, 26. September – dem Tag der Bundestagswahl – einen Bürgerentscheid über das umstrittene Bauvorhaben im Ortsteil Rainbach geben wird. Denn der Gemeinderat hob seinen Aufstellungsbeschluss zu dem vorhabenbezogenen Bebauungsplan nicht auf. Darüber müssen nun die Bürger entscheiden.
Die geplante Neubebauung ist in diesem Sommer das heißeste Thema in der Stadt am Neckar. Bekanntlich hat das zur Onigkeit-Gruppe gehörende Unternehmen "RED Real Estate Development GmbH" das Areal mit der früheren traditionsreichen Gaststätte gekauft und möchte den Gebäudekomplex abreißen. Geplant sind mehrere Mehrfamilienhäuser sowie Gastronomie. Ursprünglich vorgesehen war auch ein Hotel, von dem aber inzwischen nach Protesten wegen der geplanten Höhe Abstand genommen wurde. Nach dem Aufstellungsbeschluss zu dem notwendigen vorhabenbezogenen Bebauungsplan im Februar hatte sich eine Bürgerinitiative formiert, der vor allem die Massivität der Bebauung ein Dorn im Auge ist. Binnen weniger Wochen befürworteten fast 1800 Neckargemünder mit ihrer Unterschrift die Frage, ob der Beschluss aufgehoben werden soll, mit Ja – rund 1000 Bürger mehr als notwendig.

Der Gemeinderat hatte nun zwei Möglichkeiten. Erstens: Er hebt den Aufstellungsbeschluss selbst auf. Dann könnten sich Stadt, Initiative und Gemeinderat mit dem Investor auf eine Planung einigen oder der Investor könnte alleine planen und müsste sich dabei nur an der Umgebungsbebauung orientieren. Zweitens: Der Gemeinderat hebt den Beschluss nicht auf. Die Konsequenz: ein Bürgerentscheid. Stimmt die Mehrheit bei diesem für die Aufhebung, darf drei Jahre kein neuer Bebauungsplan entwickelt werden. Eine der Umgebung orientierte Bebauung wäre aber auch in diesem Fall möglich. Über deren Zulässigkeit würde nicht die Stadt, sondern das Landratsamt entscheiden.
Edith Mayer warb als Vertrauensperson des Bürgerbegehrens in der Sitzung dafür, dass der Gemeinderat den Beschluss aufhebt – mit dem Ziel, einen Konsens für eine Bebauung zu finden. Dem folgten die Fraktionen SPD und Freie Wähler, Linken-Stadtrat Marco La Licata und Bürgermeister Frank Volk. Grüne und CDU sowie Giuseppe Fritsch (fraktionslos) stimmten gegen die Aufhebung.
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Das Stimmenpatt um 21.23 Uhr bedeutete schließlich, dass der Beschluss nicht aufgehoben wird und es einen Bürgerentscheid gibt. Alle 27 Stadträte plus der Bürgermeister stimmten auf Antrag der Freien Wähler namentlich ab. Es wurde also das Abstimmungsverhalten jedes Stadtrates festgehalten. Die von Giuseppe Fritsch beantragte geheime Abstimmung lehnte die Mehrheit ab.
Bei den Vertretern der Bürgerinitiative sorgte das Ergebnis für Kopfschütteln. Projektentwickler Fatos Rukiqi hingegen hatte sich bereits im Vorfeld genau dieses Ergebnis gewünscht.
Hintergrund
Kein Abriss der Gaststätte
Wenn es nach dem Gemeinderat geht, wird der Gebäudekomplex mit der früheren Gaststätte im Ortsteil Rainbach nicht abgerissen. Das Gremium votierte am Dienstagabend noch vor der Entscheidung über das Bürgerbegehren mit Stimmen
Kein Abriss der Gaststätte
Wenn es nach dem Gemeinderat geht, wird der Gebäudekomplex mit der früheren Gaststätte im Ortsteil Rainbach nicht abgerissen. Das Gremium votierte am Dienstagabend noch vor der Entscheidung über das Bürgerbegehren mit Stimmen von Grünen, Freie Wählern, SPD und des Linken-Stadtrates gegen den Antrag des neuen Eigentümers. Große Teile der CDU und Giuseppe Fritsch (fraktionslos) waren dafür. Bürgermeister Frank Volk und zwei CDU-Räte enthielten sich. "Die Stadt Neckargemünd ist aber keine Baurechtsbehörde", erklärte Volk. "Wir haben nur unser Einvernehmen versagt." Die Entscheidung treffe nun das Landratsamt.
Eingangs hatte Volk erklärt, dass der Eigentümer aber gar keinen Antrag stellen müsste: "Ein Abriss muss nur angezeigt, aber nicht genehmigt werden." Nun sei aber ein Antrag gestellt, über den auch entschieden werden müsse. Der Bürgermeister betonte, dass keine Denkmaleigenschaft bei den Gebäuden besteht. Dilsbergs Ortsvorsteher Karlheinz Streib (Freie Wähler) berichtete, dass der Ortschaftsrat den Abriss einstimmig abgelehnt habe. Die Sprecher der Fraktionen erklärten, dass sie vor dem Hintergrund des Bürgerbegehrens keinem Abriss zustimmen können. Vielmehr sollten Teile der Fassade in einen Neubau integriert werden. Felix Konrad (Grüne) forderte ein Gutachten der Stadt zur Denkmaleigenschaft. Bürgermeister Volk ging davon aus, dass ein Abriss nicht gleich am Tag nach der Zustimmung des Landratsamtes erfolgt. Es gebe keine Pflicht zur Umsetzung. rnz
Einstimmig fielen die folgenden Beschlüsse des Gemeinderates aus – unter anderem, dass die Stadt eine Bürger-Informationsschrift über die Abstimmung erstellt und an alle Haushalte verteilt und dass das Aufstellen von Plakaten durch Investor, Bürgerinitiative und auch Parteien ab sechs Wochen vorher erlaubt ist.
Bürgermeister Volk hatte eingangs betont, dass es sich um das erste Bürgerbegehren in der Geschichte der Stadt handelt. Dieses sei von der Initiative sehr erfolgreich und mit großer Mobilisierung bestritten worden. "Ich bin grundsätzlich froh, wenn sich die Bürger für ihr Lebensumfeld engagieren", so Volk. Der Entscheid wird 20.000 bis 30.000 Euro kosten. "Das nehmen wir aber für die Demokratie in die Hand", so Volk.
So positionierten sich Bürgerinitiative und Stadträte in Sachen Rainbach
> Edith Mayer von der Bürgerinitiative gab zu bedenken, dass die Geschichte der früheren Gaststätte bis ins Jahr 1759 zurückreiche. Bei einem Abriss würde dem Ortsteil das Herz herausgerissen, so Mayer: "Hunderte Jahre Geschichte würden ausradiert." Die geplanten "futuristischen Gebäude aus Glas und Beton" würden in eine Großstadt, aber nicht ins Neckartal passen. Hier würden sie der Idylle schaden. Das Ensemble müsse erhalten und behutsam ergänzt werden – zum Beispiel durch einen Bebauungsplan, den die Stadt entwickelt. "Wir wollen eine Bebauung nicht verhindern", betonte Mayer. Der Erhalt des Kernhauses sei aber eine Forderung. Eine Sanierung sei anspruchsvoll, aber nicht unmöglich. Mayer sprach sich klar für eine Aufhebung des Beschlusses aus, um dann mit dem Investor einen Konsens zu entwickeln. Ein erfolgreicher Bürgerentscheid hingegen würde drei Jahre Stillstand bedeuten. Und eine an der Umgebung orientierte alternative Bebauung sei fraglich.
> Felix Konrad (Grüne) betonte, dass das Bebauungsplanverfahren erst am Beginn stehe und sah "allerbeste Voraussetzungen für einen Dialog". Eine Rücknahme des Beschlusses würde das laufende Verfahren aber beenden. Dann hätte die Initiative die "alleinige Entscheidungsgewalt", so Konrad, und ein "Vetorecht" für jede neue Planung. "Der Gemeinderat wird dadurch delegitimiert", fand er. Der Investor verhandele dann nicht mehr mit gewählten Volksvertretern, sondern einer einzigen Interessengruppe. Befürworter würden ihre Stimme verlieren. Dies sei undemokratisch. Ein Bürgerentscheid hingegen sei ein "demokratischer Prozess". Nun gelte es, einen Kompromiss zu finden und die Bürger zu überzeugen.
> Steffen Wachert (Freie Wähler) erinnerte daran, dass seine Fraktion bereits gegen den Aufstellungsbeschluss gestimmt habe. Man wünsche sich eine sinnvolle und passende Bebauung sowie bezahlbaren Wohnraum für Familien. "Nur mit Luxusvillen kommen wir hier nicht weiter", so Wachert. Mit einer Rücknahme des Aufstellungsbeschlusses habe "der Gemeinderat das Heft des Handelns wieder in der Hand", meinte Wachert. Danach müsse ein Bebauungsplan durch die Stadt aufgestellt werden.
> Anne von Reumont (CDU) betonte, dass ihre Fraktion am Beschluss festhalten möchte. "Wir sehen keinen Grund, an der Dialogbereitschaft des Investors zu zweifeln", meinte sie. Die Gespräche seien "kooperativ und offen" verlaufen. "Wir sehen in der bisher gewählten Vorgehensform die größte Möglichkeit der gemeinsamen Gestaltung", so von Reumont. "Wir stehen erst am Anfang der gemeinsamen Planung." Nun sollten die Bürger entscheiden.
> Jens Hertel (SPD) bezweifelte, dass "Verhandlungen auf normalem Weg" zustande kommen. Deshalb werde man den Aufstellungsbeschluss weiter ablehnen – auch als Anerkennung für die Arbeit der Bürgerinitiative. Es gebe andernfalls zu viele Unklarheiten und Fallstricke. "Wir sehen außerdem die Gefahr und ein sehr großes Risiko einer Spaltung des Ortsteils", so Hertel. Es gelte vielmehr, gemeinsam an einer Lösung zu arbeiten.
> Giuseppe Fritsch (fraktionslos) meinte, dass es an Gaststätten und Hotels in der Stadt fehle. Genau diese wolle der Investor. Er sprach sich gegen eine Aufhebung des Beschlusses aus.
> Marco La Licata (Linke) sprach sich für einen Bebauungsplan der Stadt aus. Dafür müsse der Aufstellungsbeschluss zurückgenommen werden. Ein Bürgerentscheid hingegen könne für eine Legitimation des Projektes sorgen, aber auch für eine jahrelange Sperre.
> Lilliane Linier (SPD) erinnerte daran, dass sich der Ortschaftsrat gegen das Vorhaben ausgesprochen hat. Darüber solle sich der Gemeinderat nicht hinwegsetzen. Ziel sei eine Einigung, mit der alle Beteiligten gut leben können.
> Manfred Rothe (Freie Wähler) schlug vor, das Geld für den Entscheid in einen Bebauungsplan der Stadt zu stecken.
> Bürgermeister Frank Volk sagte, dass die Erarbeitung eines Bebauungsplans durch die Stadt mindestens zwei Jahre dauere. Sinnvoller sei es, sich mit dem Eigentümer zu einigen. In Gesprächen solle eine Planung entwickelt werden, mit der alle leben können. Dies gelinge aber nicht in drei Monaten bis zum Bürgerentscheid, meinte Volk, der drei Jahre Stillstand befürchtete. Um das Verfahren zu "retten", sprach er sich für die Aufhebung des Beschlusses aus. rnz