Muhterem Aras erzählte auch, wie sie als Kind nach Deutschland kam. Foto: Alex
Von Anna Haasemann-Dunka
Neckargemünd. Ob sie schon selbst Rassismus erlebt habe, wurde Landtagspräsidentin Muhterem Aras von einem Schüler gefragt. Er war einer von vielen jungen Leuten des Max-Born-Gymnasiums, die zum Vortrag "Heimat in Vielfalt" im Rahmen der VHS-Reihe "Vom Untertan zur Bürger*in" gekommen waren. Aber auch zahlreiche Neckargemünder interessierten sich für das Thema. Nach dem Vortrag konnten Fragen gestellt werden - und diese Möglichkeit wurde auch reichlich genutzt. Bürgermeister Frank Volk, der den Gast aus Stuttgart gemeinsam mit der VHS-Leiterin Barbara Coors begrüßte, sprach von den aktuellen Herausforderungen für die Stadt bei der Unterbringung und Integration von Flüchtlingen und fragte: "Verliert man seine Heimat, wenn man sie teilt?"
Als sie im Alter von zwölf Jahren hier mit ihrer aus der Türkei stammenden Familie Fuß fasste, war ihr kein Rassismus begegnet, erzählte Aras. Schnell hatte ihre Familie Anschluss gefunden. Eine befreundete deutsche Bauernfamilie erwies sich als ideale Unterstützung bei dem Bestreben, in Deutschland eine zweite Heimat zu finden. Erst im Erwachsenenalter bekam auch sie Vorurteile zu spüren, als sich die Wohnungssuche schwierig gestaltete und sie viele Absagen bekam - wohl auch aufgrund ihrer äußeren Erscheinung, wie sie vermutete.
Was macht Heimat aus? Wo fühlt man sich heimisch? "Verstehen und verstanden werden - das ist Heimat", zitierte sie einen Satz des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, den sie selbst unterschreibe. Der Heimatbegriff umschließe viele Aspekte, die von Tradition, über Landschaft bis hin zu gesellschaftlichen Bedingungen und der Verankerung im Familienkreis reichen. Sie führte als Beispiel eine Tradition an: Der "Blutritt" im oberschwäbischen Weingarten ist eine Reiterprozession zu Ehren einer Blutreliquie. Aras wies vor diesem Hintergrund darauf hin, wie vielfältig Heimat sein könne. Sie selbst zeigte sich sehr beeindruckt von dem Ritual, das die gesamte Stadtgesellschaft einschloss und fühlte sich von dem Beten auf dem Feld unter freiem Himmel berührt.
Kulturelles Erbe zu leben ist für Aras ein Mosaiksteinchen in einem großen Gesamtbild, das die Gesellschaft widerspiegele. Den Zement, der alles zusammenhalte, bildeten die Grundwerte - und "die sind für alle verbindlich und sie stehen im Grundgesetz". Der Toleranz, Unterschiede zu akzeptieren und zu dulden, komme im Zusammenleben eine wichtige Bedeutung zu.
Mit ihrem Plädoyer für eine Heimat in Vielfalt wollte sie Ängste abbauen, rief zu Neugier, Zugewandtheit und Offenheit auf und zu einem respektvollen Umgang miteinander. Unter diesen Vorzeichen könne auch Integration gelingen, denn es seien die positiven und guten Erfahrungen, die Menschen miteinander verbinden. Diese Einsicht führe weg von Spaltung, von Ausgrenzung und Abschottung, welche die Vorstellung von dem, was Heimat ausmacht, zerstöre.
Von Vielfalt geprägt sind Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft der Bundesrepublik. Und Vielfalt "ist der rote Faden in unserer Geschichte", sagte die Landtagspräsidentin, die darin auch jede Menge Innovationskraft entdeckte. "Menschen aus über 170 Nationen leben heute in der Landeshauptstadt Stuttgart friedlich zusammen", lobte sie die weitsichtige Politik unter der Regie des früheren Oberbürgermeisters Manfred Rommel, die für eine Durchmischung der Quartiere und Viertel gesorgt hat. Eine funktionierende Vielfalt bedarf eben der Begegnung und der Zusammenarbeit von Menschen. Und das gelte für alle Bereiche, nicht zuletzt auch für die Wirtschaft. An der Prosperität, also dem Wohlstand hierzulande, hätten Menschen mit Migrationshintergrund jedenfalls einen großen Anteil, findet die Landtagspräsidentin. Nach dem Vortrag trug sich Aras noch in das Goldene Buch der Stadt ein.