Fotos, Transparente, Reden: Das Aktionsbündnis „Erinnern – Verändern“ organisierte die Kundgebung. Foto: Geschwill
Von Sabine Geschwill
Leimen. Neun Menschen wurden am 19. Februar 2020 in Hanau Opfer eines rassistischen Attentats. Innerhalb von zwölf Minuten erschoss ein Attentäter sie kaltblütig. Die Tat hat tiefe Spuren hinterlassen – nicht nur bei den Überlebenden, den Familien und Freunden der Opfer, sondern auch in der Gesellschaft. Erinnerung, Aufklärung, Gerechtigkeit und Konsequenzen fordert nicht nur die nach der Schreckenstat von Familien und Freunden der Opfer gegründete Initiative "19. Februar – Hanau", sondern auch Menschen in der Region. Sie haben sich unter dem Motto "Erinnern – Verändern" zu einem Aktionsbündnis zusammengeschlossen und am Jahrestag des Anschlags am Freitagnachmittag unter anderem in Leimen Gedenkveranstaltungen organisiert. Ein Jahr nach der Tat will das Bündnis an die Systematik rassistischen und rechten Terrors in Deutschland und vor allem an die unschuldigen Opfer erinnern: Ferhat Unvar, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtovic, Kaloyan Velkov, Mercedes Kierpacz, Said Nesar Hashemi, Sedat Gürbüz, Vili Viorel Paun und Fatih Saraçoglu.
"Hanau ist überall", erklärt ein Mitglied des Aktionsbündnisses. Daher solle das Erinnern an die Schreckenstat nicht auf Hanau beschränkt bleiben. Auch in kleineren Städten wolle man mit Ansprachen und Audiobeiträgen an das Attentat und weitere rassistische und rechte Gewaltakte erinnern, die viel zu oft und zu schnell von der Gesellschaft vergessen oder verdrängt würden. Mit vier weiteren Aktivisten bereitete die junge Dame in Leimen alles für die Gedenkkundgebung vor, hängte Transparente auf, legte Infomaterial aus.
Die Opfer bekamen in Form von Schwarz-Weiß-Bildern ein Gesicht und ihre Namen wurden verlesen. Unter jedem Bild wurde eine Kerze aufgestellt und Blumen abgelegt, um der Getöteten zu gedenken. Die Aktivisten wählten klare Worte, denn sie wollten gehört werden. Und sie wählten mit dem Georgi-Platz den öffentlichen Raum, denn sie wollten gesehen werden. Ein gutes Dutzend Interessierter nahm an der Gedenkkundgebung teil und lauschte still den vorbereiteten Rede- und eingespielten Audio-Beiträgen. Polizei und Mitarbeiter des städtischen Ordnungsamtes waren präsent und überwachten die friedlich verlaufende Gedenkstunde.
"Hanau war kein Einzelfall. Es reiht sich in eine traurige Reihe von Attentaten ein", betont eine Rednerin des Aktionsbündnisses bei der Kundgebung. Immer wieder seien Menschen mit Migrationshintergrund, jüdischer Herkunft, Sinti und Roma oder auch farbige Menschen Anfeindungen ausgesetzt und müssten Angst haben, Opfer von Rassismus zu werden. "Doch nicht unsere Herkunft macht uns aus, sondern unsere Menschlichkeit", hob sie hervor. Rassismus gehe alle an. Es sei ein Problem inmitten unserer Gesellschaft. Das Aktionsbündnis hatte daher eine klare Forderung: "Hanau muss die Endstation sein. Wir wollen nicht auf den nächsten Anschlag warten, sondern handeln." Ziel müsse eine Gesellschaft sein, die Rassismus weder ignoriert noch duldet. "Die Opfer waren Menschen wie Du und Ich. Diese neun Leben waren wertvoll und sollen nicht sinnlos ermordet worden sein."
Zusammen mit der Initiative "19. Februar – Hanau" möchte das Aktionsbündnis "Erinnern – Verändern" seine Stimme erheben: Sie fordern eine lückenlose Aufklärung des Anschlags, ein angemessenes Erinnern und Konsequenzen. Die eingespielten Audiobeiträge der Überlebenden des Attentats und der Familien der Opfer machten deutlich, dass sie nie vergessen und nie vergeben werden, solange die Tat von Hanau nicht lückenlos aufgeklärt ist. Sie kritisieren, dass der Täter schon im Vorfeld durch Waffenbesitz und einschlägige Kampfausbildungen mehrfach auffällig gewesen sei, aber nie aus dem Verkehr gezogen wurde. Sie werfen der Polizei Fehler beim Einsatz und bei den Ermittlungen vor. Und sie prangern an, dass zu viel Zeit verging, ehe der Täter nach den Todesschüssen von der Polizei gestellt werden konnte. Im Gepäck hatte er zu dem Zeitpunkt noch 300 Schuss Munition…