Heiligkreuzsteinach/Heidelberg. (kaz) Im Zweifel für den Angeklagten: Dieser juristische Grundsatz kam im Gerichtssaal nicht zum Tragen. Trotz des leidenschaftlichen Plädoyers, ihren Mandanten vom Vorwurf der sexuellen Belästigung freizusprechen, kam Verteidigerin Andrea Combé bei der Verhandlung im Heidelberger Amtsgericht damit nicht durch. Richterin Britta Nagel sah dessen Schuld als erwiesen an und verhängte eine Geldstrafe von 140 Tagessätzen zu je 70 Euro.
Der Verurteilte, ein ehemaliger Polizeibeamter, der auch in der Kriminalprävention tätig war, kündigte schon vor der Urteilsverkündung an: Er werde in Berufung gehen, sofern kein Freispruch erfolge. "Ich hab’ das nicht getan und deshalb kann ich diese Anschuldigungen nicht auf mir sitzen lassen", sagte er gegenüber der RNZ. Dem inzwischen 75-Jährigen wird vorgeworfen, eine Frau bei einer Wohnungsbesichtigung unsittlich berührt beziehungsweise mehrmals an den Brüsten angefasst zu haben.
Die Geschädigte war gerade zu Besuch bei der Freundin, deren Wohnung zur Weitervermietung angeboten wurde. Beide Frauen haben eine leichte geistige Behinderung, bei der damaligen Mieterin wurde inzwischen eine Schizophrenie diagnostiziert. Oberstaatsanwältin Christiane Vierneisel bezeichnete die Aussagen der beiden bei den Vernehmungen und in der Hauptverhandlung aber als "absolut glaubwürdig".
Verteidigerin Andrea Combé ging dagegen von einem ganz anderen Sachverhalt aus und pochte deshalb auf Verlesung einer älteren Akte. Demnach hat die Geschädigte möglicherweise ein traumatisierendes Erlebnis am Bahnhof von Neckargemünd hinter sich, als sie ein Unbekannter mit dem Messer bedrohte. Deswegen kam es einst zu einer Gerichtsverhandlung. Der Täter erhielt ebenfalls eine Geldstrafe. Und wiederum war ihre Freundin Zeugin des Geschehens - damals allerdings nur am Mobiltelefon.
Dass er bei der Wohnungsbesichtigung eine der jungen Frauen angefasst habe, bestritt der Beschuldigte nicht. Seiner Schilderung nach war das aber eher ein freundschaftliches Schulterklopfen ohne jegliches sexuelles Interesse. Nachdem die Geschädigte darauf irritiert reagiert habe, habe er sich zurückgezogen. In die Wohnung, die er zuvor zusammen mit seiner Lebensgefährtin angeschaut habe, sei er auch nur nochmals allein zurück gekommen, um als gelernter Elektriker die Leitungen genauer zu inspizieren. "Da war ich wegen der Steckdosen mit der Mieterin auch im Schlafzimmer. Wenn ich irgendwelche sexuelle Absichten gehabt hätte, wäre das dort doch viel einfacher gewesen", sagt er rückblickend auf die ihm zur Last gelegten Übergriffe von vor fast zwei Jahren.
"Das würde Ihnen jeder Aussagepsychologe in der Luft zerreißen", sagte Verteidigerin Combé in Richtung Staatsanwältin Vierneisel. Gemeint waren die sehr unterschiedlichen Aussagen über das, was sich während der Wohnungsbesichtigung abgespielt haben soll. Die Eigentümerin gab jedenfalls zu Protokoll, das sich die jungen Frauen auf dem Balkon darüber unterhalten hätten, was sie bei sexueller Belästigung vor Gericht an Entschädigung einfordern könnten und wie sie den Täter "ausziehen" könnten.
"Sie haben sich wehrlose Opfer ausgesucht." Dieser Satz der Richterin in der Urteilsbegründung ging dem Verurteilten offensichtlich besonders nahe.