Von Eva-Maria Elfner-Häfele
Heiligkreuzsteinach. Wie mag es wohl gewesen sein, als die Menschen vor 400 Jahren ihre spärliche Getreide-Ernte zur Reinhardsmühle gebracht haben, damit der Müller daraus das Mehl mahlen kann? Wenn die alten Balken des 1612 erbauten Gebäudes nur erzählen könnten, was gäbe es da alles zu hören. Sicherlich nicht nur romantische Geschichten von der Mühle am rauschenden Bach. Es mag ein beschwerliches Leben gewesen sein in dieser Zeit. Heiligkreuzsteinach stand damals unter der Verwaltung der Kellerei Waldeck, was vom Zehnten übrig blieb, konnten die Kleinbauern für sich behalten. Doch auch der Müller musste schließlich noch in Naturalien, sprich Getreide abgegolten werden. Für die Familie des Bauern blieb da unter dem Strich nicht allzu viel übrig.
1848 wurde die Mühle umgebaut und bis heute befindet sie sich in genau diesem Zustand. Tag und Nacht dreht sich seitdem im Heiligkreuzsteinacher Mühlweg das Mühlrad. Das Wasser der Steinach setzt es in Bewegung und treibt über den mächtigen Wellbaum das Kammrad an, das schließlich Zahn um Zahn in die Holz-Zähne des Zahnrades greift, um die Transmission in Gang zu bringen. Die Mühle mit zwei Mahlwerken ist vollständig erhalten. Der Mehlkasten, das Trommelsieb, alles noch da.
Und wenn man heute ein paar Stunden Arbeit investieren würde, könnte man sofort wieder loslegen und die Mühle in Betrieb nehmen. So erzählt es Johannes Kalt begeistert. Er wohnt seit 2013 in der Mühle und freut sich, wenn er Interessierten dieses historische Kleinod zeigen kann. Auch wenn es genau genommen in seinen Privaträumen integriert ist. "Es ist schon etwas ganz Besonderes in dieser Mühle zu wohnen", so der Mieter. Das Haus brauche viel Aufmerksamkeit und das müsse man wollen.
Seit 1967 ist die Mühle außer Betrieb. Das Deutsche Mühlengesetz von 1957 hatte das Ziel, mittlere und kleine Mühlen außer Betrieb zu setzen; Müller und Mühlenbesitzer erhielten eine staatliche Prämie, wenn sie ihre Mühle für mindestens 30 Jahre außer Betrieb setzten. So wurde also auch das Schicksal der Heiligkreuzsteinacher Reinhardsmühle besiegelt und die schweren Mühlsteine stehen seither still.
Das Wasser der Steinach jedoch fließt weiter, Tag für Tag. Und das alte Mühlrad, längst Wahrzeichen der Steinachtalgemeinde geworden, dreht sich unermüdlich, auch wenn es keine schweren Lasten mehr antreibt.
Dass dieses ganz besondere, alte Kulturgut erhaltenswert ist, haben nicht nur Bürgermeisterin Sieglinde Pfahl und der Gemeinderat erkannt. Auch das Landesamt für Denkmalpflege kam zu dieser Einschätzung. Es handele sich bei der Reinhardsmühle um ein "aussagekräftiges technisches Kulturdenkmal von hohem Denkmalwert". Die funktionsfähig erhaltene technische Ausstattung sei ebenso ein seltener, schützenswerter Bestand wie die typische räumliche Situation mit der Müllerschlafkammer, Wand an Wand mit den Mahlgängen.
Dieser Umstand machte nun auch die dringend notwendige Erneuerung des Mühlrades möglich. "Ohne eine Förderung des Landes Baden-Württemberg wäre es sicher nicht so einfach gewesen, das Mühlrad zu erneuern", erklärt Bürgermeisterin Pfahl. Schließlich befindet sich die Mühle im Privatbesitz der Familie Raule und die Erneuerung zu finanzieren war kein Pappenstiel. Umso größer war schließlich die Freude über die Finanzspritze vom Land.
Doch dann kam die nächste bange Frage auf: Wer kann heute überhaupt noch ein Holz-Mühlrad bauen? Hier half das Glück mit, nachdem sich die Heiligkreuzsteinacher Suche im Ländle herumgesprochen hatte. Franz Armbruster aus Hausach im Schwarzwald meldete sich und reiste an, um die Mühle zu besichtigen. Schnell war man sich handelseinig, und der Schwarzwälder Mühlradbauer erhielt den Auftrag. Doch leider erkrankte der Fachmann kurz darauf und konnte den Auftrag nicht mehr ausführen.
Also ging die Suche erneut los und nun war es im Sommer 2020 endlich soweit: Zimmermeister Tobias Lang aus Heidelberg kam nach Heiligkreuzsteinach und warf sein Fachwissen in den Ring. Lang hatte bereits Erfahrungen mit historischen Wasserrädern gesammelt; er betreut seit Jahren die Wasserräder am Schloss in Schwetzingen und konnte seine Expertise in Heiligkreuzsteinach gut einbringen.
Das Team aus insgesamt vier Zimmerleuten demontierte zunächst das alte Wasserrad vor Ort und rekonstruierte dann das neue in der Wieblinger Zimmerei nach dem alten Vorbild. 270 Arbeitsstunden haben die Handwerksleute gebraucht, um das Holzrad samt Schaufeln mit einem Durchmesser von 3,60 Metern und einem Umfang von 11,30 Metern aus Eichenholz zu fertigen. In der Werkstatt der Wieblinger Zimmerei wurden die acht Segmente komplett zusammengebaut, danach wieder zerlegt und an Ort und Stelle an die alte Reinhardsmühle angebaut.
Den Wellbaum als Herzstück des Mühlrads haben die Zimmerleute auch gleich aufgearbeitet: gereinigt, geschmiert und mit einem neuen Anstrich versehen. Insgesamt wurden für das neue Heiligkreuzsteinacher Mühlrad 2,5 Kubikmeter Eichenholz verarbeitet. Nun wird es wieder viele Jahrzehnte lang mit der Kraft des Steinachwassers Tag für Tag den Wellbaum der Mühle bewegen.
Die Reinhardsmühle aus dem 16. Jahrhundert erstrahlt in neuem Glanz, und wenn man ganz genau hinhört, kann man in seiner Fantasie aus dem gleichmäßigen Poltern des Mühlrads vielleicht doch noch die eine oder andere Mühlengeschichte hören ...