Ob Touren mit dem Schneemobil, Langlaufen in der Loipe, Eishockey-Training oder Freunde treffen: Für Ina Kirssi ist Finnland inzwischen das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Foto: privat
Von Stephanie Kern
Schefflenz/Keltakangas. "Die Corona-Pandemie hat uns persönlich nicht nur Schlechtes gebracht." Davon ist Ina Kirssi überzeugt. Die 37-Jährige lebt eigentlich mit ihrer Familie im Mehrgenerationenhaushalt in Schefflenz. Ihr zweites Zuhause hat sie aber (schon vor Corona) in Finnland gefunden. Und dort verbringt sie nun auch viel mehr Zeit, als das anfangs geplant war.
"Eigentlich wollten wir von Mitte Dezember bis Anfang Januar hier in Keltakangas bleiben", erzählt Ina Kirssi. Das sei auch mit der Grundschule, die der ältere Sohn in Schefflenz besucht, so abgesprochen gewesen. Doch als die Zahl der Neuinfektionen in Deutschland einen neuen Lockdown nach sich zog, klar war, dass die Schulen nicht öffnen würden. Und so blieb die Familie einfach im Sommerhaus in Finnland. "Wir haben dann schnell entschieden, dass wir in Finnland bleiben."
Der nächste Heimreisetermin war für Ende Januar geplant – und wurde nun auf das Ende der Fastnachtsferien verschoben. "Wir überlegen aber, ob wir dann nach zwei Wochen wieder zurück nach Finnland gehen", sagt die zweifache Mutter, die ihren selbstständigen Beruf auch von dort aus erledigen kann. Denn in Finnland sind die Einschränkungen durch die Corona-Pandemie auch wegen deutlich geringerer Fallzahlen sehr viel geringer.
"Es wird eigentlich alles nur angeraten", berichtet Kirssi. Maskenpflicht – gibt es nicht. Die Geschäfte – geöffnet. Quarantäne nach der Einreise – schön, muss aber nicht sein. Die meisten Finnen tragen tatsächlich eine Maske. Sie seien aber anders als die Deutschen: Niemand würde dort gegen eine Maskenpflicht demonstrieren. "Die Finnen sehen keinen Grund, gegen die Empfehlungen ihrer Regierung etwas zu sagen", schätzt die Schefflenzerin die Situation ein. "Und die Finnen haben Social Distancing ja sozusagen erfunden." Ein finnischer Witz beschreibe das ganz gut, denn darin wird gefragt, wann man von 1,50 Metern Abstand wieder auf die üblichen vier Meter Abstand zurückgehen kann.
Ina Kirssi ist mit einem Finnen verheiratet. Bereits 2009 mietete man sich eine gemeinsame Wohnung im Norden Europas, obwohl das Paar in Deutschland lebte und arbeitete. Als die Miete immer weiter stieg, entschloss das Paar sich 2013, ein Haus zu bauen. "Eigentlich wollten wir eine Art Lagerhaus, um unsere Sachen unterzustellen, wenn wir nicht da sind." Daraus wurde nach und nach das Haus, in dem die Familie nun lebt.
Die Schwiegereltern von Ina Kirssi sind die Nachbarn, Freunde wohnen auch in der Nähe. "Es ist alles da, was wir brauchen." Und zwar nicht nur Freunde und Familie, sondern auch jede Menge Möglichkeiten, die Freizeit zu verbringen. "Ich gehe aus der Tür raus, schnalle mir die Skier an und stehe eigentlich in der Loipe", sagt Ina Kirssi. Man könne (gerade wegen der niedrigen Zahlen) viel mehr machen als in Deutschland. "Homeschooling hätten wir auch in Deutschland."
Ein Wermutstropfen: Ina Kirssis Ehemann arbeitet in Deutschland. "Aber da er in Rosenheim arbeitet, sehen wir uns ohnehin nicht immer." Das Leben in Finnland biete dem in Deutschland gegenüber aktuell sehr viele Vorteile, man kann Freunde treffen, zum Eishockeytraining gehen und vieles mehr. "In Deutschland findet zwar irgendwann wieder Wechselunterricht statt, aber wir können ansonsten eben nichts unternehmen", betont Kirssi. Zudem hat sie schon immer davon geträumt, eines Tages in Finnland zu leben.
Vor Kurzem hat Ina Kirssi ein Freundebuch aus der sechsten Klasse wiedergefunden. Darin hat sie sich schon damals ein Haus am See in Finnland und ein Boot gewünscht. Das Haus hat sie, ein Ruderboot auch, zum See ist es nicht weit. Außerdem sei die Wohnung in Deutschland – im Elternhaus in Schefflenz – schon immer nur eine Zwischenlösung gewesen. "Je länger wir hier in Finnland sind, desto schwerer fällt mir der Gedanke, nach Deutschland zurückzukommen", räumt Kirssi ein. Auch wenn sie weiß, dass ihre Eltern sie und die Enkelkinder schmerzlich vermissen.
"Die Coronapandemie und die viele Zeit, die wir hier verbringen, hat beschleunigt, dass wir auch intensiver darüber nachdenken, für immer hierzubleiben", sagt sie. Dementsprechend sei auch der Plan, das Schulkind ab dem nächsten Schuljahr in Finnland einzuschulen. "Aber natürlich kommen wir regelmäßig nach Deutschland, alleine schon, um meine Eltern zu sehen."
Und auch aus beruflichen Gründen wird sie wohl des Öfteren in heimatliche Gefilde zurückkommen. Kirssi vertreibt Kleidung von Me & I, und die kann man eigentlich nur auf Homepartys kaufen. "Das werde ich nicht vermissen, weil ich deswegen auch immer wieder zurückkommen werde." Für die Zukunft hat sie auch einen erweiterten Plan: "Ich will so viele Menschen wie möglich für Finnland begeistern und ihnen auch Reisen hierhin ermöglichen und organisieren. Die Möglichkeiten, was Sport, Abenteuer, Natur angeht, sind hier unglaublich. Helsinki ist nur eine Stunde entfernt", kommt sie ins Schwärmen.
Dabei ist ihr aber auch bewusst, wie viel Glück sie hat, diese Zeit so verbringen zu dürfen. "Ich bin unheimlich dankbar, dass wir hier in Finnland sein können und so viele Dinge erleben. Ich denke, ohne die Lockdowns wäre das gar nicht möglich gewesen." Ina Kirssi und ihre Familie haben enorm viele Möglichkeiten direkt vor der Haustür. Das Lockdown-bedingte Leben in Finnland hat der Familie eine ganz neue Möglichkeit aufgezeigt. Und mit der hatten sie vorerst gar nicht gerechnet.