Für ein Stück, das in einem Amphitheater spielt, gibt es kaum eine geeignetere Kulisse als den Burggraben Neckarelz. Hier inszeniert das inklusive Theaterensemble „(K)ein alltägliches Theater“ in den kommenden Wochen mehrfach Michel Endes „Momo“. Foto: Girgla
Von Noemi Girgla
Neckarelz. Besondere Zeiten erfordern besondere Ideen. Das haben in den letzten von der Corona-Pandemie geprägten Monaten alle gemerkt. Gerade die Kulturszene ist noch stark von den Einschränkungen, die das Virus mit sich bringt, betroffen. Auch das inklusive Theaterprojekt "(K)ein alltägliches Theater" musste neue Wege finden, um wieder zusammenzukommen.
Schon im Oktober hatte das Ensemble Michael Endes "Momo" auf die Bühne der Alten Mälzerei gebracht. Doch Aufführungen in geschlossenen Räumen sind derzeit nun mal nicht möglich. Und so besann sich Regisseur und Theaterpädagoge Alexander Kaffenberger "auf die Ursprünge des Theaters". Gemeinsam mit der Projektleiterin Jutta Schüle, kommunale Beauftragte für für die Belange von Menschen mit Behinderung, inszenierte er mit seiner Truppe ein "Parcours-Theater" im Neckarelzer Burggraben.
Momo im Mosbacher Burggraben - Die Fotogalerie"Früher wanderten die Menschen bei Passionsspielen auch von Station zu Station, wo die einzelnen Szenen aus der Leidensgeschichte Christi aufgeführt wurden", erläutert Kaffenberger die Idee hinter dem neuen Projekt. Er selbst sieht in der momentanen Situation eine Chance, zum Ursprung des Theaters zurückzukehren. Ohne viel Technik.
Beim "Kulturspaziergang" führt Kaffenberger Besuchergruppen von maximal 20 Personen von Szene zu Szene. Für die musikalische Untermalung sorgt ein tragbarer CD-Spieler. Das Ambiente hätte zu Momo nicht besser passen können, spielt das Stück doch in einem alten Amphitheater. Die natürliche Kulisse des Burggrabens mit seinen steinernen Sitzreihen sorgt für ein ganz besonderes Flair.
Auch hätten die Voraussetzungen für die Premiere am Freitagnachmittag besser nicht sein können: Strahlender Sonnenschein, passend zu einem Stück, das in Italien spielt und dessen Kernthema die Zeit selbst ist, trifft auf den Klang der Glocken der benachbarten Martinskirche um Punkt 16 Uhr. Los geht es.
Der Spaziergang führt über die Brücke zum Tempelhaus und nach einem Blick in den Burggraben um dieses herum. Endstation ist das Theater selbst. Auf dem Weg trifft man die grauen Herren, Beppo den Straßenkehrer, die Puppe BibiGirl, Meister Hora und natürlich Momo. Im Burggraben wird die Kulisse von zwei Seiten aus bespielt. Schlüsselszene folgt auf Schlüsselszene, das Schauspiel dauert etwas mehr als eine halbe Stunde. Auch sorgen die Mauern, die auf dem Weg liegen, dafür, dass man sich nicht die Beine in den Bauch steht.
"Jeder Spaziergang wird etwas anders sein als die übrigen", resümiert Alexander Kaffenberger. "Mal ist die Straße stärker zu hören, mal wird der Spielplatz etwas voller sein. Wichtig ist, dass wir wieder zusammenkommen. Die Kunst muss Wege finden, um mit der Situation umzugehen."
Die geltenden Abstands- und Hygieneregeln lassen sich auf dem Kulturspaziergang jedenfalls bestens einhalten. Die Besucher verteilen sich auf dem weitläufigen Gelände, die Schauspieler stehen verteilt und sind etwa sechs Meter von den Betrachtern entfernt. Gesungen wird nicht. "Mehr können wir nicht machen", meint Kaffenberger – und mehr ist auch überhaupt nicht nötig.
Wie schon in der Alten Mälzerei, trägt aus dem inklusiven Theaterensemble jeder zum Gelingen des Stücks bei, was er beitragen kann. Heraus kommt eine gelungene Inszenierung, eine willkommene Ablenkung in der momentan notgedrungen kulturarmen Zeit.
"Gerade Momo passt wunderbar in diese besondere Zeit", glaubt Jutta Schüle. "In den letzten Monaten haben viele innegehalten und sich gefragt: ,Was mache ich eigentlich mit meiner Zeit? Was mache ich mit meinem Leben?’" Die grauen Herren beispielsweise halten soziale Interaktion für "Zeitverschwendung". Freundliche Gesten spielen in ihrer Welt als Angestellte der "Zeitsparkasse" keine Rolle.
So schafft es (K)ein alltägliches Theater einmal mehr, zum Innehalten und Nachdenken anzuregen – und mit einer großen roten Stundenblume wieder etwas Farbe in den kulturell derzeit noch recht grauen Alltag zu zaubern ...
Info: Die nächsten gemeinsamen Kulturspaziergänge finden am morgigen Freitag um 16, 16.45 und 17.30 Uhr, sowie an den Samstagen, 1. und 29. August, jeweils um 14.30, 15.15 und 16 Uhr, statt. Treffpunkt ist das Bildungshaus in Neckarelz. Der Eintritt ist frei, eine Spende ist willkommen.