Von Heiko Schattauer
Neckar-Odenwald-Kreis. Eine harte Zeit durchlebt aktuell der Landrat des Neckar-Odenwald-Kreises, Achim Brötel. Der leidenschaftliche Grußwortredner hat derzeit kaum Möglichkeiten, seiner Leidenschaft nachzugehen, öffentliche Veranstaltungen, Präsentationen oder auch Pressetermine gibt es seit Ausbruch der Coronapandemie kaum. Im ausführlichen Gespräch mit der RNZ wird schnell klar, dass der 57-Jährige dennoch viel zu sagen hat. Nicht nur zu Corona, den Neckar-Odenwald-Kliniken und den kommenden Themen für den Kreis äußert sich Brötel – auch zu neuen Chancen, offener Kommunikation, alternativen Maßstäben oder unbefriedigenden Weichenstellungen.
Landrat Achim Brötel. Foto: BrinkmannErstes, weil immer noch prägendes Thema: Corona. Der Kreis hat sich vom halbwegs verschonten Rückzugsort zum Hotspot entwickelt. Inzwischen scheint sich die Lage wieder ein wenig beruhigt zu haben. Ohne ganz weit ausholen zu wollen: Wie schätzen sie die Situation und die kommenden Entwicklungen ein?
Eine dienstliche Glaskugel, mit der ich verlässlich in die Zukunft blicken könnte, habe ich nicht. Es kann aber gut sein, dass die besondere Abfolge von Feiertagen und Wochenenden zuletzt das tatsächliche Infektionsgeschehen nur zu einem Teil sichtbar werden lässt. In der Statistik werden ja nur die Fälle geführt, die aufgrund einer positiven Testung bekannt werden. Daneben gibt es aber natürlich immer auch ein Dunkelfeld. Vordergründig sinkende Positivzahlen müssen daher nicht zwangsläufig auf ein rückläufiges Infektionsgeschehen hindeuten. Auch das Dunkelfeld könnte gewachsen sein. Bis Ende dieser Woche sollten wir belastbare Zahlen haben. Dann sind auch die Testungen wieder in vollem Umfang angelaufen.
Mit Blick auf die letzten Monate: Hat man als Landkreisverwaltung die richtigen Entscheidungen (wenn nicht schon ohnehin von höherer Stelle abgenommen) getroffen?
Im Nachhinein ist man immer klüger. Das gilt aber nicht nur für die Landkreisverwaltung, sondern auch für jeden einzelnen sonst. Was uns das Leben wirklich schwer gemacht hat, waren die extrem kurzen Reaktionszeiten. Oft sind die neuen Vorgaben erst so kurzfristig bekannt geworden, dass kaum noch Zeit geblieben ist, um sie tatsächlich auf die örtlichen Gegebenheiten anzupassen. Trotzdem wüsste ich auch jetzt nichts, was wir grundlegend hätten anders machen sollen. Im Gegenteil: Ich bin sehr froh, dass unsere Kolleginnen und Kollegen im Landratsamt ein so hohes Maß an Flexibilität bewiesen haben.
Mancher sieht in der Krise auch eine gute Chance. Da ist von Rückbesinnung oder "Weniger ist mehr" die Rede. Haben wir als ländlicher Raum hier eine besondere Chance? Ja vielleicht sogar eine besondere Verpflichtung?
Der ländliche Raum ist historisch betrachtet immer besser durch Krisensituationen gekommen als die großen Zentren. Deshalb glaube ich in der Tat, dass das jetzt auch wieder so sein wird. Alles, was zu groß, zu teuer, zu unsicher und vielleicht auch zu dreckig ist, stößt die Menschen irgendwann ab. Insofern nehme ich schon ein Umdenken wahr. Eine intakte Umwelt, ein funktionierendes soziales Miteinander, ein lebendiges Ehrenamt und vieles andere mehr werden so zu echten Standortfaktoren. Aber: es gehört natürlich noch mehr dazu. Ein zukunftsorientiertes Schulsystem, eine gute Gesundheitsversorgung, ein leistungsfähiger ÖPNV und attraktive Arbeitsplätze, um nur einige Beispiele zu nennen. Dort müssen wir deshalb gezielt ansetzen. Von der guten Luft und der schönen Landschaft allein kann niemand leben. Aber: Qualität statt Quantität. Echt statt künstlich. Gemeinsam statt bloß nebeneinander. Das sind unsere Trumpfkarten. Für Leseratten habe ich dazu übrigens einen Tipp parat: Werner Bätzing, Das Landleben. Geschichte und Zukunft einer gefährdeten Lebensform (2020).
Bleiben wir beim Thema: Gibt es von Landkreisseite denn (neue) Konzepte, wie man eine Rückbesinnung, ein nachhaltigeres Leben auf dem Land befördern könnte?
Nachhaltigkeit kann man sicher nicht verordnen. Natürlich versuchen wir aber, Anregungen und Tipps dafür zu geben. Ich denke dabei etwa an unsere vielen Rad- und Wanderwege, die ja nicht nur für Touristen gemacht sind, an Naturpark-Märkte und eine unglaubliche Vielfalt von Angeboten im Rahmen des Unesco-Geoparks, an unsere Initiative, Fairtrade-Landkreis zu werden, an die vielen Direktvermarkter und die Bio-Musterregion, an unser neues Rezeptbuch "Hauptsache Odenwald!" und anderes mehr. Am Ende liegt es aber schon an uns selbst, was wir daraus machen.
Wie sieht es generell mit Umweltthemen/Maßnahmen gegen den Klimawandel aus? Von grüner Seite wurde zuletzt bemängelt, dass das Thema im Kreis nicht adäquat präsent sei.
Von grüner Seite wurde interessanterweise vor allem bemängelt, dass das Wort "Klimaschutz" in meiner Haushaltsrede nicht vorgekommen sei. Irgendjemand hat einmal gezählt, dass die deutsche Gegenwartssprache aus mindestens fünf Millionen Worten besteht. Insofern gibt es also auch noch einige andere Worte, die ebenfalls nicht vorgekommen sind … Nein, im Ernst: Inhalte sind mir nach wie vor wichtiger als Schlagworte. Und: Da brauchen wir uns im Neckar-Odenwald-Kreis in Sachen Klimaschutz ganz bestimmt nicht zu verstecken.
Genauer?
Wir sind nach wie vor, was den Ausbau der Erneuerbaren Energien anbelangt, absolut mit an der Spitze in Baden-Württemberg. Von den anerkannten 165 Bioenergiedörfern, die es in ganz Deutschland gibt, liegen mit Großeicholzheim, dem Ünglert und Heidersbach drei im Neckar-Odenwald-Kreis. Unsere Energieagentur (EAN) berät Bürgerinnen und Bürger seit 2008 unentgeltlich über Energieeinsparmöglichkeiten. Seit diesem Jahr gibt es zudem eine eigene Anlaufstelle des Kreises zur Förderung der Elektromobilität. Für fast alle unsere Verwaltungsgebäude und Kreisschulen haben wir Energieeinspar-Contractings durchgeführt, daran anknüpfend auf eine Versorgung durch regenerative Energien umgestellt. Die AWN engagiert sich bei innovativen Ideen wie etwa der Pflanzenkohle. Man könnte diese Liste nahezu beliebig weiter fortführen. Was von dem Vorwurf der Grünen zu halten ist, mag daher jeder für sich beurteilen. Es kann schon sein, dass andere mehr davon reden. Das ist für mich aber kein Maßstab.
Welche großen Themen erwarten uns 2021 aus Kreissicht (abgesehen von den Neckar-Odenwald-Kliniken, die wir im zweiten Teil dieses Gesprächs eingehend beleuchten)? Wo sehen Sie die größten Herausforderungen? Welchen Themen sehen Sie vielleicht auch mit großer Freude entgegen?
An allererster Stelle steht sicher die hoffentlich erfolgreiche Bewältigung der Corona-Pandemie. Wir alle wollen doch so schnell wie möglich wieder in ein halbwegs normales Leben zurück. Deshalb müssen wir das zentrale Thema Impfen unbedingt auch gemeinsam zum Erfolg führen. Daran arbeiten wir mit ganzer Kraft, wenngleich vieles dabei eben leider nicht in unserer Macht steht. Corona hat aber auch deutlich gemacht, wie wichtig eine leistungsfähige Kommunikationsinfrastruktur ist. Deshalb freue ich mich ganz besonders, wenn es im Frühjahr tatsächlich mit dem flächendeckenden Glasfaserausbau durch BBV losgeht. Das ist ein echter Meilenstein, auch für den Wirtschaftsstandort Neckar-Odenwald-Kreis. Selbst wenn es mancher vielleicht noch gar nicht so gesehen hat: Es wird die Zeit kommen, wo es auch für viele Arbeitsplätze nicht mehr entscheidend darauf ankommt, wo die Werkbank steht, sondern wo die Glasfaser liegt. Deshalb wollen wir da vorne mit dabei sein. Und: natürlich gehen auch die Planungen für den Ersatzneubau des Ganztagsgymnasiums Osterburken (GTO) weiter. 25 Mio. Euro sind für uns schließlich eine Investition, wie sie ganz bestimmt nicht alle Tage vorkommt.
Sie haben jüngst rege geschrieben. Unter anderem an die Bundeskanzlerin (dazu kommen wir noch), aber auch an die Landesregierung. Wie ist das Feedback aus Stuttgart? Dorthin hatten Sie sich ja – durchaus deutlich – in Bezug auf die Pendlerverbindungen gewendet …
Da kam die Reaktion postwendend. Wir haben uns im Rahmen einer Videokonferenz sehr offen mit den Kollegen im Verkehrsministerium auseinandergesetzt. Ich schätze es, wenn man auch einmal Klartext miteinander reden kann. Der Amtschef, Ministerialdirektor Prof. Lahl, hat uns daraufhin zugesagt, eine weitere umstiegsfreie Verbindung aus dem Elzmündungsraum nach Stuttgart und zurück ab Sommer 2021 zu prüfen. Dazu gibt es auch bereits einen Folgetermin Ende Februar, um weitere mögliche Schritte zu erörtern. Insgesamt ist die Situation seit der Einführung der Stadtbahn aber nach wie vor insbesondere für Berufspendler sehr unbefriedigend.
Der zweite Teil des Gesprächs mit Landrat Achim Brötel folgt morgen.