Anna Neff und ihre Kollegen bereiten Seminare und Vorlesungen vor, schreiben Texte selbst in den Laptop oder werden von Assistenzen beim Schreiben unterstützt. Foto: Annelie-Wellensiek-Zentrum für Inklusive Bildung
Von Gabriele Eisner-Just
Neckar-Odenwald-Kreis. Anna Neff sitzt in ihrem Büro in der Pädagogischen Hochschule (PH) Heidelberg – um genau zu sein, im Annelie-Wellensiek-Zentrum für Inklusive Bildung. Ihre Tätigkeit als fest angestellte Bildungsfachkraft an einer Hochschule ist in Deutschland einmalig, denn die junge Frau hat einen Behindertenausweis und gilt als kognitiv eingeschränkt.
"Nach meinem Schulabschluss an der Förderschule hatte ich einen Termin beim Arbeitsamt", erinnert sich Anna Neff. "Die Frau hat gesagt: Gehen Sie bitte in die Werkstatt, das ist das Beste für Sie! Ich hätte gern eine Ausbildung gemacht oder außerhalb der Werkstatt gearbeitet. Die Werkstatt war nicht meins, von Anfang an. Aber ich habe es hingenommen. Ich habe einfach gearbeitet, damit ich was zu tun habe und nicht nur zu Hause rumsitze."
Die quicklebendige 31-Jährige gab sich jedoch nicht dauerhaft mit den Montage- und Verpackungsarbeiten in der Werkstatt für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung zufrieden. Sie qualifizierte sich weiter und setzte sich als Frauenbeauftragte für die Anliegen der weiblichen Werkstattangestellten ein.
2017 wurde Anna Neff auf das Projekt "Inklusive Bildung Baden-Württemberg" aufmerksam: Sechs Menschen mit Behinderung aus Baden-Württemberg sollten in einer dreijährigen Vollzeitqualifizierung zu Bildungsfachkräften geschult werden. Träger der Ausbildung war die Fachschule für Sozialwesen der Johannes-Diakonie in Neckarbischofsheim, in der Heilerziehungspfleger(innen) ausgebildet werden.
"Mein früherer Chef Stephan Friebe hat das Projekt in meiner Werkstatt vorgestellt und ich habe hin und her überlegt: Wäre das was für mich?", erklärt Neff. "Ich habe mich beworben und bin genommen worden. Einige Leute haben mir das nicht zugetraut. Sie haben gesagt: Du schaffst das nicht, bleib lieber in der Werkstatt!" Doch Anna Neff wagte den Sprung in eine neue Tätigkeit. Während der Qualifizierung war sie noch formell Angestellte der Werkstatt – einmal, um versichert zu sein, zum anderen, um ihren Arbeitsplatz für alle Fälle zu behalten.
Während der Qualifizierung hieß es durchhalten – trotz täglicher langer Anfahrt vom Neckar-Odenwald-Kreis nach Heidelberg. "Ich stehe um 5 Uhr auf", erzählt sie. "Dann fährt mich meine Mutter nach Neckarelz an den Bahnhof. In Heidelberg steige ich aus und fahre mit der Straßenbahn zur PH. Der Tag ist ganz schön lang!" Doch die Mühe hat sich gelohnt. "Meine zehnjährige Tochter war von Anfang an sehr stolz auf mich und hat gesagt: Meine Mama wird jetzt Dozentin!", freut sich die Bildungsfachkraft.
Im Oktober war die dreijährige Qualifizierung beendet. Nun vermitteln Anna Neff und ihre fünf Kollegen zukünftigen Lehrerinnen und Lehrern sowie Studierenden anderer Fakultäten die Lebenswelten, Bedürfnisse und spezifischen Sichtweisen von Menschen mit Einschränkungen. Sie bereiten Seminare und Vorlesungen vor, schreiben Texte selbst in den Laptop oder werden von Assistenzen beim Schreiben unterstützt.
"Die Bildungsfachkräfte berichten an Hochschulen und anderen Einrichtungen von eigenen Lernerfahrungen, von der Arbeit in der Werkstatt, von Übergängen im Leben und über Behinderung selbst", sagt Nina Rudolph, Koordinatorin am Annelie-Wellensiek-Zentrum für Inklusive Bildung. "Als Erfahrungsexperten sprechen sie an, wie Unterstützung gelingen kann und wie sie als Menschen mit Behinderung gefördert und gefordert werden möchten."
"Ich halte schon seit über zwei Jahren Veranstaltungen an Hochschulen", berichtet Anna Neff. "Dazu gehört auch, dass ich mit den Studierenden ins Gespräch komme. Ich erzähle von meinen Erfahrungen, und sie können mir Fragen stellen. Ich habe auch schon gehört, dass die Studenten die Seminare gut finden und über ihr eigenes Verhalten gegenüber Menschen mit Behinderungen nachdenken. Das gefällt mir."
Neff hat gelernt, von sich zu erzählen und dabei mit Studierenden auf Augenhöhe zu sein. "Ich möchte als Frau mit Behinderung aber nicht nur für mich sprechen, sondern auch für andere Menschen, die in der gleichen Situation sind", sagt sie. "Wenn dann die Studierenden etwas mitnehmen und am besten ihre Haltung verändern, dann habe ich mein Ziel erreicht."
Die Bildungsfachkraft hat eine sehr bildliche Vorstellung davon, wie Inklusion funktionieren sollte: "Bisher haben in unserer Gesellschaft Menschen mit Behinderung und andere Menschen in verschiedenen Häusern gewohnt", sagt sie. "Ich stelle mir das aber vor wie ein großes Haus mit vielen Zimmern. Jeder hat ein eigenes Zimmer, aber man trifft sich im Wohnzimmer und macht etwas zusammen. Es ist unser gemeinsames Haus!"