Der 78-jährige Gundelsheimer Schreinermeister Werner Kappes wollte nach seinem aktiven Berufsleben nochmals neu durchstarten. Vor 14 Jahren begann der Autodidakt, Messer und Scheren der Leute in der Region zu schleifen. Foto: Anton Zuber
Von Anton Zuber
Gundelsheim. Hörbar, aber nicht aufdringlich läuft der Motor des Aggregats. Das leise, grelle Kreischen der Schleifscheibe dringt ans Ohr. Werner Kappes ist voll konzentriert. Der Schleifer hat eine Klinge in die Vorrichtung gespannt. Jetzt drückt er das Messer behutsam gegen das rotierende Blatt und seine von einer Brille geschützten Augen verfolgen wie ein Luchs die kaum sichtbaren Veränderungen an der Messerschneide.
Der 78-jährige Werner Kappes ist ein waschechter Gundelsheimer. In eine Handwerkerfamilie hineingeboren, absolvierte er die Schreinerlehre im elterlichen Fensterbaufachbetrieb und erwarb den Meisterbrief. Bis zu seiner Pensionierung war er zusammen mit seinen beiden Brüdern Geschäftsführer der Firma, betrieb seit 1980 auch einen Türennotdienst und war gleichzeitig der betriebliche Schärfer für Sägeketten. Die Anfrage seines Schwagers, ob er auch seine Ketten schärfen könne, brachte ihn vor 14 Jahren auf die Idee, das Schärfen zu seinem Handwerk zu machen. Der Autodidakt Kappes kaufte mehrere Schleifmaschinen und baute selbst die nötigen Vorrichtungen für seine Zwecke.
"Die sieht ja aus wie neu!", freute sich eine Friseurin, als sie ihre Lieblingsschere geschliffen in Empfang nehmen konnte. Älter als 50 Jahre sei das gute Stück, erzählte sie. "Das Material damals war hochwertiger als manche der gegenwärtigen Produkte", klärte Werner Kappes sie auf. Ebenso hatte sich eine adelige Dame aufgerafft, ihm ihre kostbaren Messer aus dem alten Familienbesteck zum Schleifen zu überlassen. Das Ergebnis überraschte die Freifrau. Sie fand den Schliff genial.
Mit scharfen Augen betrachtet Werner Kappes stets die Werkstücke, die er bearbeitet. Nicht jedes Messer lässt sich gleich gut schleifen. Die Oberfläche einer Klinge gibt ihm Auskunft über die Beschaffenheit des Materials, ähnlich wie ihm als Schreiner die Maserung eines Brettes die Qualität des Holzes verrät. Kappes kennt den Winkel, in dem er die Klinge halten muss, und auch den Druck, der auf den Stein nötig ist. "Ich will, dass meine Kunden zufrieden sind und wiederkommen", begründet er sein Bemühen. "Nie habe ich in all den Jahren eine Schneide beschädigt." Auf die Frage der Kunden "Wann soll man überhaupt ein Messer schärfen?", antwortet er schmunzelnd: "Wenn Sie anfangen, sich darüber zu ärgern."
In seiner Schleiferei im Keller des Wohnhauses landen nicht nur Messer und Scheren. Samuraischwerter und Dolche gehören dazu, ebenso Bohrer und Nagelzangen. Besonders diffizil sind die Köche und Friseure. Deren Handwerkszeug kostet bisweilen ab 500 Euro bis weit aufwärts. "Darum sind sie euch extrem skeptisch, was den Schleifer und seine Arbeit anbetrifft", verrät Werner Kappes. "Doch keiner ist bisher unzufrieden von mir weggegangen. Alle loben meine Arbeit", betont er und ist stolz auf seine Stammkunden. Namen gibt er jedoch nicht preis.
Werner Kappes schleift auch Gartengeräte, Heckenscheren und Messer von Rasenmähern. Der Schleifexperte erkennt sofort, ob eine Klinge etwas taugt. "Das spüre ich", sagt der agile Rentner. "Du nimmst ein Messer in die Hand, fühlst die Klinge und weißt schon: Das gibt einen ordentlichen Schliff."
Wenn er von seinem Handwerk erzählt, vermischt sich stiller Kummer mit Leidenschaft. "Ich habe keinen Nachfolger. Wenn ich nicht mehr schleife, schleift hier keiner mehr", sagt Kappes. "Solange ich aber Spaß daran habe und die Leute meine Arbeit schätzen, mache ich weiter."