Von Noemi Girgla
Auerbach/Potamia. Eigentlich wollten Christine und Marco Röser erst ihren Ruhestand auf der griechischen Insel Thassos verbringen. Doch erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.
Anpacken konnte das Paar schon immer. 2008 eröffneten sie in Auerbach ihren Landschafts- und Gartenbaubetrieb, arbeiteten oft auch an Sonn- und Feiertagen. Vier Jahre später investierten die Rösers in einen Neubau für Heim und Firma. Viel Zeit für Freunde und Familie bleib da nicht. Um den Alltagsstress hinter sich zu lassen und ein wenig Kraft zu schöpfen, fuhren sie 2012 in den Pfingsturlaub – und verliebten sich unsterblich in den "grünen Smaragd der Ägäis". "So wird Thassos genannt, weil es hier immer grünt und blüht, das Wasser ist kristallklar", erläutert Christine Röser. "Die Insel ist die nördlichste in der Ägäis und bekommt dementsprechend auch mehr Niederschläge ab. Schon jetzt, im Februar, kann man die Blumen wieder riechen."
Immer häufiger fuhren die Rösers nach Thassos. Bald fanden sie "Freunde, die inzwischen zur Familie gehören", sagt Marco Röser und fügt hinzu: "Was mich von Anfang an fasziniert hat, ist die Offenheit der Leute hier. Es herrscht eine ganz andere Mentalität, ohne Vorurteile. Keiner fragt, was du hast. Der Mensch steht im Mittelpunkt, und dass er sich einfügen und anpassen kann."
Auf Thassos eröffneten sie ein kleines Feriendomizil nahe dem Dorf Potamia im Osten der Insel. Foto: privatChristine Röser gesteht, dass "es jedes Mal Tränen gab", wenn sie die Insel wieder verlassen mussten. Und so entschied sich das Paar 2014, für immer zu bleiben und kaufte ein 5000 Quadratmeter großes, völlig verwildertes Grundstück zwei Kilometer außerhalb des Dorfes Potamia im Osten der Insel. Denn: "Wir wollten dieses Paradies auch mit Familie, Freunden und anderen Griechenlandliebhabern teilen", so Christine Röser. Nie vergessen wird sie die Worte ihres Vaters damals: "Wer will denn da wohnen, beziehungsweise Urlaub machen?" – Es fanden sich einige.
2015 war der Bauantrag für die beiden geplanten Häuser durch, die Fundamente wurden ausgehoben und die Rösers verkauften Haus und Firma in Auerbach. Im Januar 2016 beluden sie einen Pkw und einen 3,5-Tonner und fuhren nur mit dem Nötigsten im Gepäck über die Balkanroute in die neue Heimat. Sie blieben das Jahr über in einem kleinen Appartement im Ort, Weihnachten konnten sie dann bereits im neuen Haus feiern.
Vier Monate später stand auch schon das zweite Haus, im Mai kamen die ersten Gäste. "Zunächst waren das Freunde und Verwandte. Das Tourismusgewerbe war für uns ja völliges Neuland. Da konnten wir dann ein wenig üben", meint Marco Röser. Aber schon bald kamen auch reguläre Gäste und das kleine Feriendomizil (maximal vier Familien können zeitgleich in der Anlage Urlaub machen) war ständig ausgebucht. "Nach fünf Jahren haben wir jetzt viele Stammgäste aus ganz Europa und sogar aus Amerika", freut sich das Paar.
Die paradiesische Bucht der Insel Thassos. Foto: privat"Wir leben hier sehr minimalistisch", erzählt Christine Röser. "Wir fahren einen typischen alten Pick-up, bauen unser eigenes Obst, Gemüse und Salat an. Auf 400 Quadratmetern halten wir Hühner und Enten, machen unser eigenes Olivenöl, Marmeladen, Liköre und den landestypischen Tsipouro (griechischer Raki aus Wein) selbst. Nächstes Jahr versuchen wir uns am eigenen Wein. Im Keller haben wir eine kleine Metzgerei (aus Deutschland aufgekauft) und Marco macht bei Bedarf deutsche Wurst und räuchert Schinken." Sie kann es bis heute kaum glauben, auf Thassos zu leben, es sei "wie in einem Traum".
Dann kam Corona. "Der Tourismus war im vergangenen Jahr sehr schwach", berichtet Marco Röser, "wir hatten einen Umsatzeinbruch von ca. 70 Prozent. Das Ungewisse macht einen wahnsinnig. Hier hängt ja alles vom Tourismus ab." Staatshilfen gibt es in Griechenland keine. Die Rösers bekamen lediglich eine Einmalhilfe von etwa 500 Euro. "Wir haben immer gut gewirtschaftet und gespart", berichtet Christine Röser. So sei man im Coronajahr dann doch noch Null auf Null rausgekommen, konnte die Kosten decken. "Noch ein Jahr darf das aber nicht passieren", fügt sie hinzu.
Wieder ist es die Mentalität der Einheimischen, die Marco Röser fasziniert. "Die Leute sind es gewohnt, seit Jahrzehnten zu kämpfen. Da wird nicht viel gejammert sondern einfach weitergemacht." Und das, obwohl der Lockdown in Griechenland sehr viel strenger ist als in Deutschland. "Hier wurde alles schon früher zugemacht. Wenn man das Haus verlässt, braucht man einen Begründungszettel, den man immer bei sich führen muss. Man darf lediglich zum Arzt oder zur Apotheke, in den Supermarkt oder auf die Bank, eine hilfsbedürftige Person besuchen oder mit dem Hund oder zum Sport raus – und das auch nur für zwei Stunden am Tag", erklärt Christine Röser.
Sonnenuntergang auf der griechischen Insel. Foto: privatSelbst, wenn man allein draußen sei, müsse man eine Maske tragen, sonst seien schnell 300 Euro Strafe fällig. "Darüber lachen hier zwar alle, machen es aber trotzdem", berichtet Christine Röser. Proteste dagegen gebe es nicht. "Das Selbstverständnis, einander zu schützen, ist hier einfach da."
Die Rösers hoffen darauf, dass bald wieder etwas Normalität einkehrt und sie dieses Jahr Gäste und Familie empfangen können. "Meine beiden erwachsenen Kinder und meine Eltern fehlen mir schon sehr. Ich hoffe, ich kann vor Saisonbeginn noch nach Deutschland oder sie können uns besuchen kommen", räumt Christine Röser ein.
Der "Megalos Germanos", der "große Deutsche", wie die Einheimischen den fast zwei Meter großen Marco Röser nennen, freut sich schon darauf, wenn er seinen Hausgästen endlich wieder die schöne Insel, die typisch-griechische Lebensweise und die Tavernen zeigen kann, in denen die Griechen mit ihren Tänzen die Urlauber begeistern.
"Wir wussten, dass wir hier angekommen sind, als uns ein Mann fragte, wo wir denn her seien. Wir antworteten: ,Aus Deutschland’, und er sagte: ,Nein, jetzt seid ihr aus Potamia.’ – Das war das schönste Kompliment, das man uns machen konnte", schließt Christine Röser.