Erzieherinnen sind ausgebildete Fachkräfte, Kindergarten ein Lernort, in dem frühkindliche Bildung groß geschrieben wird. Susanne Rau hat in der Coronakrise das Gefühl, das der Respekt vor dem Berufsstand zurückgeht. Foto: dpa
Von Stephanie Kern
Region Mosbach. "Es ist etwas verrutscht." Mit vier Worten beschreibt Susanne Rau eindringlich, was ihr zu schaffen macht, seit das Coronavirus die Welt und das Leben beherrscht. Seit Deutschland immer wieder in den Lockdown muss, seit die Menschen weit weg von der Normalität sind.
Susanne Rau ist Erzieherin. Vor nicht ganz 30 Jahren entschied sie sich für diesen Beruf, machte eine Ausbildung und qualifizierte sich weiter. Seitdem erlebt sie mit, wie der Beruf langsam (sehr langsam) mehr Anerkennung bekommt, wie Kindergärten nicht mehr nur als Verwahrstation, sondern als Orte der frühkindlichen Bildung wahrgenommen werden. "Seit März wird das aber alles weggewischt. Ich fühle mich, wie in die Steinzeit zurückversetzt", sagt Susanne Rau. "Ich fühle mich von sehr vielen im Stich gelassen, an erster Stelle natürlich von der Politik", sagt Rau. Sie will aber nicht jammern: "Da geht es uns wie vielen anderen." Jeden Tag gebe es neue Beschlüsse, die einzuordnen und umzusetzen sind. "Es ist eine riesige Flut von Informationen, die wir hier täglich zu bewältigen haben." Und das neben der Arbeit am Kind und (ganz wichtig) mit den Eltern. Rau: "Und dann kommen natürlich auch die Fragen der Eltern, die wir nicht beantworten können. Und wir sind auch die Prellböcke für Eltern, die unzufrieden sind, weil das Kind nicht in die Notbetreuung darf, oder weil man auf dem Parkplatz Maske tragen muss."
Susanne Rau liebt ihren Beruf. "Ich habe die Motivation, Kinder in ihrer Entwicklung zu begleiten und zu fördern." Dass sie von der Politik und auch manchen Eltern nur noch als Babysitter gesehen werde, der den Eltern den Rücken freihalten soll, das ärgert die Erzieherin. "Wir sind qualifizierte Fachkräfte, die eine vierjährige Ausbildung absolviert haben – und keine Babysitter." Seit vielen Jahren kämpfen Einrichtungen und Erzieherinnen gegen Vorurteile. "Und nun wird das in einem dreiviertel Jahr alles weggewischt. Das ist für uns sehr deprimierend. Wir sind mehr als die Tanten vom Kindergarten, die aufpassen."
Zu dem Respekt vor dem Berufsstand gehört für Susanne Rau auch der Respekt vor ihr als Person: "Jeder von uns ist ein Mensch und hat auch Ängste", sagt Rau. Keiner wolle eine Coronainfektion mit nach Hause tragen. "Wenn ich dann höre, wie sich Mütter jeden Tag mit jemand anderem verabreden, dann frage ich mich schon, wo die Solidarität bleibt." Susanne Rau lebt mit ihren Eltern, die zur Risikogruppe gehören, schränkt sich im Privatleben stark ein. Im Kindergarten kann sie sich gegen eine Infektion eine Infektion eigentlich kaum wehren. Abstand zu Krippenkindern? Undenkbar. "Ich liebe Kinder und ich nehme sie natürlich auf den Schoß und tröste sie, wenn sie gefallen sind, spiele mit ihnen, helfe ihnen beim Essen. Aber ich würde mir schon wünschen, dass die Familien auch mich schützen", erzählt Rau. Indem sie eben ihre Kontakte reduzieren und kränkelnde Kinder nicht in den Kindergarten bringen. FFP2-Masken und Schnelltests gibt es für Erzieher (im Gegensatz zu Lehrern) nicht. "Auch unser Schutz muss ernst genommen werden", äußert Rau einen Wunsch in Richtung Politik. Und klare Linien wären wichtig. "Wenn ich von Kindergärten höre, deren Notbetreuung zu 80 Prozent der Normalkapazität ausgelastet ist, muss ich mich schon fragen, ob das Ziel verfehlt ist. Auch hier wären klare Regeln sinnvoll."
Auch in Richtung der Eltern hat Susanne Rau einen Wunsch: "Ich würde mir ein respektvolles Miteinander wünschen. Wir sind alle gestresst und haben ein hartes Jahr. Wir sitzen aber doch alle in einem Boot." Auch sie müsse äußern dürfen, dass sie Ängste habe.
In jeder Pressekonferenz werde vom "Bildungsort" Schule und der "Betreuung" in den Kindergärten gesprochen. Das verletzt die Erzieherin. "Ich kooperiere mit den Eltern. Ich bin kein Kindermädchen", betont Susanne Rau. "Auch wir sind ein Bildungsort." Die Entwicklung dahin, die Anerkennung dafür – das sollte eine Pandemie nicht kaputt machen. Das wollte Susanne Rau nur mal wieder gerade rücken.