Die Wartezimmer sind leer, stattdessen stehen die Patienten auf der Straße Schlange. Durch die Corona-Verordnungen bleibt vielen Ärzten aktuell nichts anderes übrig, denn in den kleinen Warteräumen können die Abstände nicht eingehalten werden. Foto: dpa
Von Stephanie Kern
Neckar-Odenwald-Kreis. Volle Wartezimmer – kennt man, sieht man aber in Zeiten von Corona nicht mehr. Schlangen vor Arztpraxen – kennt man nicht, sieht man in Corona-Zeiten aber. "Wie soll das im Winter werden?", fragt eine Dame, die in der Anmeldeschlange ihres Hausarztes steht. "Ich kann doch gar nicht so lange stehen", sagt eine andere. Trotzdem: Die Patienten müssen draußen bleiben, wenn sie zum Arzt gehen.
"Wir sind bei den Patientenzahlen aktuell wieder auf dem Stand wie vor der Pandemie", berichtet Dr. Thomas Ulmer. Vor der Praxis des Neckarelzer Allgemeinmediziners ist morgens immer eine Warteschlange zu sehen. "Die Richtlinien zwingen uns dazu", erklärt Ulmer. Denn im Wartezimmer dürften sich laut aktueller Corona-Verordnung nicht mehr als zwei bis drei Personen aufhalten. Natürlich würden auch Termine vergeben, dennoch, so Ulmer: "Meine Erfahrung ist, dass die Patienten ein Leiden gleich abklären und sofort kommen wollen." Ulmer räumt aber ein, dass die Warteschlangen vor den Praxen "keine Dauerlösung" seien. "Wir müssen sehen, wie es weitergeht."
Einen ersten Hinweis darauf könnte die neue Corona-Verordnung geben. Die bisherige läuft am 31. August aus, dann müssen neue Regeln her oder die alten verlängert werden. An eventuelle Lockerungen glaubt Ulmer aber angesichts derzeit wieder steigender Infektionszahlen nicht. "Erleichterungen sind nur dann möglich, wenn alle sich an die Schutzmaßnahmen halten", meint Ulmer. Und aktuell gebe es viele, die zweifeln.
Dr. Rainer Schöchlin, Vorsitzender der Ärzteschaft im Neckar-Odenwald-Kreis, betont auf Nachfrage der RNZ: "Wir müssen die Abstände einhalten." Und das sei aufgrund der kleinen Wartezimmer nicht möglich. "Aber es kommt auch stark darauf an, wie man als Arzt seine Praxis organisiert." Er selbst führe eine Bestellpraxis, die Patienten kommen nur nach vorheriger Terminvereinbarung. Hinzu komme der Ärztemangel, denn die Patienten müssten sich auf immer weniger Ärzte verteilen. "Es gibt viele Praxen, die aufgegeben werden, und deren Patienten suchen neue Ärzte und werden nirgends aufgenommen. Das ist brutal für die Leute", meint Schöchlin. Auch das könnte ein möglicher Grund für die Warteschlangen sein. Durch die Tests für Reiserückkehrer falle in den Praxen ebenfalls mehr Arbeit an. "Aber auch die Patienten sind in der Pflicht, sich zu fragen, ob ein Arztbesuch wirklich notwendig ist", so Schöchlin. "Es ist ein komplexes Problem, das man nicht einfach lösen kann", meint der Mediziner zu den Warteschlangen. Dennoch ist er überzeugt, dass viele Kollgen die Schlangen durch eine Änderung der Praxisorganisation ändern könnten. "Ich habe immer zwei bis drei Personen im Wartezimmer und keine Schlange vor der Tür. Das bedeutet etwas mehr Aufwand, aber es klappt", ist Schöchlin überzeugt.
Dr. Matthias Haney führt gemeinsam mit Kollegen eine Gemeinschaftspraxis für Kardiologie und Innere Medizin in Mosbach. "Es stimmt schon, dass immer wieder mal jemand draußen steht", sagt er auf Nachfrage. Die Regel sei eine Warteschlange vor der Tür allerdings nicht. "Aber es gibt natürlich Stoßzeiten, zu denen Patienten auch mal draußen warten müssen." Denn man könne ja die Praxen nicht "aufblasen", nur um genügend Wartekapazitäten zu schaffen. Prinzipiell würden die Patienten aber auf Termin einbestellt. "Aber wir behandeln auch Notfälle, und wenn die Leute dieses Angebot weiterhin möchten, dann müssen sie vielleicht auch akzeptieren, dass sie draußen warten müssen", findet der Kardiologe deutliche Worte. "Aber natürlich schauen wir, dass wir alte und gebrechliche Patienten auf unsere Sitzmöglichkeiten im Innern verteilen."
Wie sich die Warteschlangen-Situation im Winter darstellt, weiß auch Haney noch nicht. "Die einzige Möglichkeit, die ich sehe, ist, für Blutabnahmen ebenfalls Termine zu vergeben, um die Warteschlange vor der Praxis zu vermeiden."
Auch bei Dr. Thorsten Strenger müssen die Patienten vor der Tür warten. Auch hier gebe es immer mal wieder Spannungen, bestätigt der Orthopäde. "Es geht aktuell nicht alles so wie früher. Das ist nicht angenehm." Auf Nachfragen nach Stühlen vor der Praxis habe man reagiert, aber aus brandschutzrechtlichen Gründen sind sie nicht erlaubt. Lockerungen für Herbst und Winter erwartet der Arzt angesichts steigender Infektionszahlen nicht.
Auch Strenger beobachtet ein Sinken der Hemmschwelle, wenn es darum geht, zum Arzt zu gehen. "Man müsste sicher nicht mit jeder kleinen Beschwerde zum Arzt. Andererseits gibt es eine Unsicherheit und man kann auch niemandem vorwerfen, auf Nummer sicher zu gehen", meint der Mediziner. Auch deshalb wünscht sich Strenger vor allem eins: Verständnis. "Jeder sollte Verständnis für den anderen haben und auch für die Situation an sich." Denn wenn relativ gesunde Personen offensichtlich kränkeren Patienten nicht einmal den Vortritt für die Anmeldung lassen, ärgert das den Arzt. "Wenn sich dann gerade diese Personen überlegen, ob sie überhaupt zum Arzt gehen sollen, ist das die falsche Entwicklung", meint der Mediziner.