Eine Frage des Abstands: Fahrgäste am Mittwochnachmittag beim Ein- und Ausstieg in eine S-Bahn am Heidelberger Hauptbahnhof. Foto: Dorn
Von Carsten Blaue
Heidelberg. Um sich vor dem Coronavirus zu schützen, sollten auch S-Bahn-Kunden die Hauptverkehrszeiten meiden. Außerdem müssten sie in den Zügen die "Corona-Abstandsregeln" einhalten. Überhaupt müssten sie sich vor jeder Fahrt fragen, ob diese wirklich nötig ist – zumal das Angebot seit vergangenem Montag eingeschränkt ist. Diese Tipps und Regeln von Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) zur Hygiene in Nahverkehrszügen klingen gut und vernünftig. Doch so einfach ist es eben selbst im eingeschränkten Alltag der Menschen nicht. Zumal dann nicht, wenn sie auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind.
Klaus Bensching aus Ubstadt-Weiher und Christian Knapp aus Heidelberg führen das eindrucksvoll vor Augen. Beide haben die gleiche Erfahrung gemacht, die sie der RNZ schildern: Die Züge sind zu den Stoßzeiten so voll, dass der "Corona-Abstand" von 1,5 bis zwei Metern niemals eingehalten werden kann. "Ich bin entsetzt und sprachlos", so Bensching. "Ich finde es schlichtweg in der aktuellen Situation unverantwortlich", schreibt Knapp. Beide brauchen die S-Bahn für den Weg zur Arbeit. Bensching die S3 zwischen Heidelberg und Karlsruhe, Knapp die S1 in Richtung Mannheim. Er habe schockiert feststellen müssen, so Knapp, dass sich der Zug ab Heidelberg dermaßen füllte, dass im Sitzplatzbereich und im Gang der dringend empfohlene Mindestabstand nicht eingehalten werden konnte.
"Verunsichert in der vollen Bahn"
"Ich gehe davon aus, dass es sich bei den Fahrgästen um Berufspendler handelt, die zu ihren als systemrelevant eingestuften Arbeitsstätten fahren", so Knapp. Ähnliches erlebte Bensching am Montagmorgen in der S3, in die er um 6.51 Uhr in Bad Schönborn Süd eingestiegen war. Viele Pendler seien gezwungen gewesen, den Mindestabstand deutlich zu unterschreiten. Er behauptet, darunter seien viele Mitarbeiter der Heidelberger Uniklinik gewesen. Bensching berichtet: "Zum Teil standen die Menschen verunsichert in der vollen Bahn in den Gängen und wussten nicht, wie ihnen geschah."
Bensching ging nach eigener Schilderung an den Infostand der Bahn im Heidelberger Hauptbahnhof und bekam die Auskunft, dass es sich um eine "Testphase" handele: "Was wird da getestet? Wie schnell sich das Klinikpersonal im Nahverkehr ansteckt, um dann die zu erwartende Krankenwelle von zuhause aus zu beobachten?". Auch Knapp sieht jetzt die Bahn in der Pflicht, diese Missstände abzustellen.
Die RNZ konfrontierte die Pressestelle der Deutschen Bahn in Stuttgart mit dem Sachverhalt und präzisen Fragen. Etwa, ob man die Zahl der Fahrgäste in den S-Bahnen beschränken könnte. Ob Bodenmarkierungen helfen könnten, wie es sie in Supermärkten gibt. Und ob darüber nachgedacht wird, die Fahrpläne zu den Stoßzeiten wieder zu erweitern. Schließlich die Frage nach der "Testphase": Was wird konkret getestet und wie lange. Und wann werden aus den Testergebnissen Konsequenzen gezogen. Ihre Antwort beginnt die Bahn mit dem Hinweis darauf, dass die Behörden über den Umfang des Angebots im Nahverkehr entscheiden. Die Bahn selbst schränke Fahrpläne nicht ein. Gleichwohl würden das Fahrgastaufkommen und die notwendigen Kapazitäten täglich beobachtet. Gemeinsam mit den "Bestellern" des Angebots steuere man "bei Bedarf" nach. Ansonsten würden in Zügen, Bussen und Bahnhöfen der Deutschen Bahn die allgemeinen Hygiene-Empfehlungen gelten, die das Robert-Koch-Institut für alle Lebensbereiche ausgegeben habe. Das betreffe auch das Abstandhalten. Zudem schickt die Bahn einen Link zu einer Pressemitteilung. Es sind Hermanns Empfehlungen und Hygieneregeln für den Nahverkehr.
Auf eine weitere Anfrage der RNZ reagierte die Deutsche Bahn in Stuttgart mit der Bitte, man möge sich in der Angelegenheit an das Verkehrsministerium in der Landeshauptstadt wenden. Dessen Antwort steht noch aus.