Von Petra Florack-Iredale
Sinsheim. Vivienne Westwood ist Schirmherrin der Ausstellung – wenn das mal nicht einen großen Spannungsbogen verspricht. Denn diese "Grande Dame des Punk" in der Haute Couture hat immer schon die Gemüter bewegt. Wild, gerne provokant und immer richtungsweisend mit ihren Ideen und Kreationen. "Buy less, choose well, make it last" – frei übersetzt: Kaufe weniger und suche sorgfältig aus, damit du länger etwas davon hast – ist ihre Devise, die in der heutigen Zeit eines verstärkten Nachhaltigkeitsbewusstseins große Resonanz erfährt.
"Use-less" ist denn auch der Titel der Wanderausstellung, die von Studierenden des Studiengangs Modedesign der Hochschule Hannover zusammen mit ihrer Professorin Martina Glomb entwickelt wurde und die ab heute in der Sinsheimer Klima-Arena zu sehen ist. Glomb wirkte zwölf Jahre im Modeimperium von Westwood – und machte dort ganz offenbar prägende Erfahrungen: "Ich habe unglaublich viel von Vivienne, ihrem Mann Andreas und dem Westwood-Team gelernt. Vivienne ist mein absolutes Vorbild. Sie entwickelt einzigartige Konzepte und Ideen und eine komplett eigene Welt."
"Use-less"-Ausstellung in der Sinsheimer "Klima Arena"
Interview: Petra Florack-Iredale / Kamera und Produktion: Reinhard Lask
Traditionell galt in der Mode-Industrie der Zyklus von Sommer- und Winterkollektion jährlich. Heute heißt Mode vor allem Geschwindigkeit. Und auch die Haute-Couture-Häuser entwickeln immer mehr Kollektionen. Haute Couture und Fast Fashion gehen eine Verbindung ein. Die Sehnsucht nach immer neuen, immer aufregenderen Outfits entwickelt sich zu einem Wettlauf, der unsere Gesellschaft in fast allen Bereichen des täglichen Lebens antreibt.
Seit etwa Ende der 70er Jahre werden neue Laufstegtrends blitzschnell erkannt, sofort kopiert, variiert und in Windeseile auf den Markt geworfen. Kontinuierlich und mit der Konsequenz, dass Herstellung von Mode zu einer immer größeren Belastung für unseren Lebensraum wird. 2700 Liter Wasser "frisst" die Produktion eines einzigen T-Shirts, 7000 Liter die Herstellung einer Jeans; die Textilindustrie verursacht laut Weltbank global 20 Prozent der industriellen Abwässer. Drei von vier hergestellten Kleidungsstücken werden nach einer kurzen Lebensdauer verbrannt oder landen auf dem Müll.
"use-less"-Ausstellung in der Sinsheimer Klima-ArenaNeben Westwood suchen auch andere Modehäuser mittlerweile nach Lösungen, um der wachsenden Kritik der Konsumenten entgegenzuwirken. Der Konzern Kering, unter dessen Dach Namen wie Gucci, Saint Laurent, Bottega Veneta, Balenciaga oder Alexander McQueen versammelt sind, will bis 2025 seinen Ausstoß an Kohlendioxid um 50 Prozent, und seinen generellen Einfluss auf die Umwelt um mindestens 40 Prozent reduzieren. Kering kooperiert mit H & M in der Entwicklung von mehr Kreislaufwirtschaft, die ein probater Lösungsansatz für die Probleme der Modeproduktion zu sein scheint.
Der Name verrät es schon: Ziel der Kreislaufwirtschaft ist es, Produkte neu zu erfinden und wiederzuverwerten, um Abfall und Verschmutzung auf ein Minimum zu reduzieren und das lineare Modell der Konsum- und Wegwerfgesellschaft abzulösen. Was nach dem traditionellen Ansatz einfach als "Abfall" gilt, wird im Kreislaufmodell zur Ressource. Nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen sind Unternehmen an einem wirtschaftlichen Einsatz von Ressourcen und dem Erhalt wichtiger Rohstoffe im Kreislauf interessiert. Innovative Recyclingtechnologien und eine Förderung von Maßnahmen für eine wirtschaftlich-ökologische textile Wertschöpfungskette sollen intensiv gefördert werden.
Es geht darum, ästhetische Produkte in gesunden Herstellungs- und Nutzungsprozessen umzusetzen, die stimmig für Natur und Mensch sind. Nachnutzungen werden dabei von Anfang an mitgestaltet, das Konzept von Abfall wird obsolet, der Kreislauf geschlossen. Bislang verweigert sich die Modeindustrie jedoch vielfach einer notwendigen Debatte über die materielle und emotionale Haltbarkeit von Kleidung. Erst wenn die Konsumenten ihre Macht mit einem differenzierten Kaufverhalten ausspielen, kann sich etwas radikal verändern. Auf anspruchsvolle, aufgeklärte Konsumenten werden auch die Fast-Fashion-Ketten reagieren müssen.
Diese Gedanken treiben die Studierenden aus Hannover um. "Slow Fashion" gegen Verschwendung und "hässliche Kleidung". Hässlich ist weniger im ästhetischen Sinn gemeint (der ja letztlich ohnehin ganz individuell ist), sondern vielmehr im Sinne der Herstellungsprozesse mit ihren Umwelt- und sozialen Belastungen. Kleidungsstücke erzählen Geschichten, wie sie entstanden sind, wer sie gekauft hat und warum sie weggeworfen wurden.
"Use-less" zeigt, was in unseren Schränken steckt und was sich hinter der Idee der "Slow Fashion" verbirgt. Alle Kleidung entsteht in komplexen Produktionsabläufen mit Folgen für Menschen und Umwelt. Die Ausstellung stellt die Ergebnisse der "Slow Fashion"-Forschung der Hochschule Hannover vor. Maria Silies und Beatrix Landbeck vom Team der "use-less"-Ausstellung begleiten die Schau in Sinsheim. Unterstützung findet das Projekt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Die Designprojekte machen deutlich, wie Mode langlebig, ressourcensparend und schön gestaltet werden kann. Gleichzeitig fragt die Ausstellung, was Nutzerinnen und Nutzer durch ihre individuelle Art des Konsums verändern können. Kleidertauschpartys, Co-Design-Konzepte oder auch Leihgarderoben können ein alternatives Kleidungsverhalten darstellen. Nicht nur Verzicht, sondern auch Transparenz und Teilhabe sind wichtig, um Mode nachhaltig zu gestalten. Dabei spielen Umweltschutz und faire Arbeitsbedingungen eine ebenso große Rolle wie Material, Kreativität und Ästhetik.
Das Ausstellungspublikum soll für das Thema "Slow Fashion" sensibilisiert und zu einem nachhaltigeren Handeln motiviert werden. Interaktive Stationen laden ein, in näheren Kontakt mit Mode und Gestaltung zu treten. Sie sind Teil der in Zusammenarbeit mit Greenpeace entstandenen "Make Something"-Kampagne, die das Erlernen von kreativen Fähigkeiten und gemeinschaftlichen Praktiken wie Reparatur, Upcycling und Tausch fördert.
Info: Die Sonderausstellung "use-less" ist zu den normalen Öffnungszeiten der Klima-Arena (Montag bis Freitag, 9 bis 18 Uhr, Samstag/Sonntag, 10 bis 18 Uhr) vom 22. August bis 7. Februar 2021 zu sehen. Der Besuch der Ausstellung ist im Eintrittsticket der Klima-Arena enthalten.
Die Ausstellung wird durch Workshops, Kreativwerkstätten, Talks und diverse Veranstaltungen begleitet. Die Besucher sollen beteiligt werden und können modische Experimente durchführen, über eigene Kleidergewohnheiten reflektieren und neue Designstrategien testen. Weitere Informationen gibt es unter www.klima-arena.de.