Nur wer einen Berechtigungsschein hat, darf im Schwetzinger Tafelladen Appel + Ei einkaufen. Foto: Lenhardt
Von Stefan Kern
Schwetzingen. Es ist Weihnachten. Die festlich gedeckte Tafel biegt sich vor Leckereien, und unter dem Christbaum stapeln sich die Geschenke. Doch es gibt viele Menschen, die sich das Schlemmen und Schenken nicht leisten können. Das wissen Klaus Stürmer, Norbert Holter und Alexander Schweitzer ganz genau, denn sie betreiben in Schwetzingen den Tafelladen "Appel + Ei". "Wir spüren nichts von den sinkenden Arbeitslosenzahlen", sagt Klaus Stürmer.
Bis zum 19. Dezember verzeichnete der Tafelladen die Ausgabe von exakt 582 Kundenkarten. Dahinter verbergen sich in der sogenannten Bedarfsgemeinschaft 1439 Personen. 498 von ihnen sind Kinder unter 14 Jahre, 101 sind Rentner. Gerade diese beiden Zahlen sind für die Männer ein Zeichen des "nachhaltigen gesellschaftlichen Versagens". Nachhaltig, weil die Zahl nicht sinkt. Im Gegenteil, sie steigt. Zum Januar 2020 erwartet Klaus Stürmer bei der Kundenkartenvergabe ein Plus von 100 zusätzlichen Berechtigungsausweisen für den Einkauf im Schwetzinger Tafelladen.
Doch er kann dem auch etwas Positives abgewinnen: Früher hätten sich Rentner geschämt und eher gehungert, weiß er. Heute sei der Tafelladen auch bei älteren Menschen akzeptiert. Wichtig ist, dass die Kunden für die Ware bezahlen. "Eine kostenlose Abgabe wäre für das eigene Selbstwertgefühl eher negativ", so Stürmer. Aber natürlich habe der Gang zum Tafelladen immer auch etwas mit Demütigung zu tun. Denn die Kunden wissen genau, dass sie nicht ganz dazu gehören.
Auf den Punkt bringt das Marijke, die seit etwa vier Jahren im Tafelladen einkauft. "Es ist entwürdigend, die Unterstützung für Menschen in Deutschland so zu gestalten, dass es für das alltägliche Leben nicht mehr reicht", betont sie. Und meint keinen Alltag mit Kino, Café- oder Restaurantbesuch. Es geht um den alltäglichen Einkauf. "Ohne den Tafelladen würde ich nicht wirklich über die Runden kommen", bekennt Marijke. Dieser Satz fällt im Laden immer wieder. Für Marijke begann der Weg in die Armut mit einer Krankheit. Sie verlor ihren Job und dann sukzessive den bürgerlichen Anschluss. Auch Ulrike betont, dass ihr das Angebot sehr helfe. Kundin ist sie seit der Eröffnung des Tafelladens am 8. Juni 2008.
"Das gilt für rund die Hälfte der Kunden des Tafelladens", bilanziert Norbert Holter. Nach Meinung der drei Betreiber ist die Gesellschaft in den vergangenen zehn Jahren nicht durchlässiger geworden. Wer ökonomisch unten ist, bleibt es mit hoher Wahrscheinlichkeit auch. Anders könne man die Zahlen nicht lesen. Die Grenzen für den Erhalt einer Kundenkarte des Tafelladens Appel + Ei liegt für eine Person bei 750 Euro. Für jede weitere erwachsene Person kämen 250 Euro und für jedes Kind 150 Euro hinzu.
Verschärft wird die Situation durch das sinkende Spendenaufkommen. 2018 verzeichnete Appel + Ei exakt 49.001 Klappkisten mit Lebensmitteln und anderen Dingen des täglichen Bedarfs. In diesem Jahr gingen lediglich 42.705 dieser Kisten ein. Dabei betrifft das Minus sowohl die Privatspenden als auch die Spenden der Lebensmittelunternehmen. Letztere verkauften ihre Waren mittlerweile immer öfter bis an die Grenze des Haltbarkeitsdatums und werfen sie dann weg. Die Zangenbewegung aus wachsendem Bedarf und sinkendem Spendenaufkommen könnte den Tafelladen und die von ihm abhängigen Menschen in nicht allzu ferner Zukunft in große Schwierigkeiten bringen. Für viele Kunden ein Horrorszenario.
Roland, der momentan Arbeitslosengeld bezieht, ist ebenfalls auf den Einkauf im Tafelladen angewiesen. "Und leider wird sich das wohl auch nicht mit dem Eintritt ins Rentenalter ändern", sagt er resigniert. In Deutschland werde das "ins Straucheln kommen" nach wie vor sanktioniert und münde allzu oft in eine ökonomische Abwärtsspirale. "Sozial und anständig ist das nicht wirklich", fügt Marijke hinzu. Diese Meinung teilen viele Kunden des Tafelladens und hoffen, dass die Menschen, denen es finanziell gut geht, angesichts des Fests der Nächstenliebe darüber nachdenken.