Ein Bild aus anderen Zeiten: Beim Konzert „6KUnited“ der regionalen Kinder- und Jugendchöre im Juni 2019 war die SAP-Arena ohne Abstand voll besetzt. Jens Reithmann fürchtet, dass es immer schwerer wird, das Publikum zurückzugewinnen, je länger der Lockdown dauert. Trotz aller Hygienekonzepte. Fotos: Gerold/Goldschmitt
Von Wolf H. Goldschmitt
Mannheim.Madonna, Cher, Kylie Minogue, Elton John, Rod Stewart, Eric Clapton und andere illustre Weltstars haben die Mannheimer SAP Arena bis unters Dach gefüllt. Die Rolling Stones fehlen noch. Dabei besingen die Oldtimer mit ihrem jüngsten Hit "Ghost in a Ghosttown" doch genau die Stimmung, die momentan in und um Baden-Württembergs größte Multifunktionshalle vorherrscht: Tristesse. Bis auf Geisterspiele vor leeren Zuschauerrängen ruht seit fast neun Monaten der Betrieb. Wann der Spuk endlich vorbei sein wird und wieder Konzerte angeboten werden, weiß Jens Reithmann natürlich nicht. Eines allerdings ahnt der Chef des operativen Geschäfts im Eventtempel: "Es ist zu befürchten, dass es so wie vor der Pandemie nie mehr sein wird".
Jens ReithmannErst ein Fünkchen Hoffnung, jetzt die Ernüchterung: Für den Manager waren die vergangenen Wochen eine wahre Achterbahnfahrt der Gefühle. Gebaut, um dort Emotionen auszuleben und positive Energie freizusetzen, liegen über 40.000 Quadratmeter bis auf weiteres im Dornröschenschlaf. Wann der erlösende Kuss und der Re-Start kommen, bestimmt die Politik. Reithmann selbst wagt keine Prognose, äußert höchstens eine Hoffnung: "Vielleicht können wir in kleinerem Rahmen im Frühjahr...".
Ein Dilemma, denn Events mit 500 Leuten entsprechen eigentlich nicht dem Geschäftsmodell der SAP-Arena und sind auch nicht wirtschaftlich machbar. Aufbruchstimmung sieht anders aus. Aber wer mag Reithmann die Vorsicht verdenken. Gut und gerne 50 Events für eine halbe Million Zuschauer sind seit dem ersten Lockdown auf das nächste und übernächste Jahr verschoben oder ganz abgesagt worden. Abende mit Kassenmagneten wie James Blunt oder Simply Red, "Holiday on Ice" oder die ausgefallenen Sportveranstaltungen im Eishockey und Handball schlagen allein für 2020 zu Buche. Es überrascht nicht, dass die Finanzen der SAP-Arena Betriebsgesellschaft nicht rosig ausschauen.
Aber der 47-Jährige wägt Soll und Haben ab und bilanziert: "Wir kommen bislang über die Runden". Bei sechsstelligen Fixkosten jeden Monat hört sich das nach Herkulesaufgabe an. Für Pacht, Wartung von Sicherheitseinrichtungen und Technik, Strom und Versicherungen kommt ein solcher Betrag rasch zusammen. Staatliche Überbrückungshilfen, Kurzarbeitergeld für die 50 Beschäftigten, Sponsoring der Werbepartner und kulante Geschäftsfreunde schaffen ein leichtes Gegengewicht zu den laufenden Ausgaben. "Aber alle diese Hilfen decken die Kosten bei weitem nicht", erzählt Reithmann. Falls die Lage tatsächlich einmal noch ernster werden sollte, bestehen immer noch Rücklagen aus dem guten Geschäft der vergangenen 15 Jahre. Ungeachtet des finanziellen Status Quo, beschäftigt Reithmann eine ganz andere Sorge: "Je länger der Lockdown dauert, desto größer wird unsere Herausforderung, die Zuschauer zurück zu gewinnen."
Die Arena habe mit Fachleuten längst ein sicheres Abstands- und Hygienekonzept für 3000 oder noch mehr Besucher erarbeitet. Auch andere Großveranstalter zeichnen Auswege vor. In ihren Szenarien existiert keine einzige Tür mehr, die von Hand geöffnet werden muss. Die Gangbreiten sind vergrößert, Einbahnsysteme für die Laufwege geschaffen, zwischen den Sitzplätzen sind riesige Abstände. Am Eingang muss der Zuschauer an einer Schranke vorbei, die automatisch misst, ob er Fieber hat. Wenn ja, kommt er nicht rein.
Die Teilnehmer können auf Wunsch Armbänder bekommen, die den Abstand zu den anderen Menschen erfassen, warnen und solche Annäherungen aufzeichnen. "Aber die Gefahr bleibt, dass wir trotz aller Sicherheitsvorkehrungen in absehbarer Zeit einen Wandel im Unterhaltungsgeschäft sehen und sich das Konsumverhalten der Zuschauer ändert", befürchtet Reithmann.
Wer heute auf die Homepage der Arena schaut, findet Termine, die auf Januar und Februar 2021 angesetzt sind: Ehrlich Brothers, André Rieu oder The Australian Pink Floyd Show. Ob Veranstaltungen mit internationaler Beteiligung überhaupt bald wieder stattfinden, kann niemand sagen. Doch der Organisator plant vor: "Wenn wir auf die Künstler aus englischsprachigen Ländern blicken, wissen wir gar nicht: Wollen sie einreisen, dürfen sie einreisen, müssen sie bei Rückkehr ins Heimatland in Quarantäne? Ich glaube, das macht kein Weltstar mit."
Aus diesem Grund spielt der Manager bis auf weiteres die "nationale Karte". Er denkt an Auftritte deutscher Künstler wie Udo Lindenberg, Peter Maffay, Sarah Connor oder Santiano, falls die Spielstätte wieder für vierstellige Besucherzahlen freigegeben wird. Ob sich Konzerte mit weniger Besuchern für Künstler und Veranstalter rechnen, müsse die Zeit zeigen. Er hoffe nicht, dass sich die gewaltig zurückgefahrene Kapazität auf höhere Eintrittspreise niederschlägt. "Denn das werden die Fans dann bestimmt nicht mitmachen", so Reithmanns Zukunftsprognose.