Würde man die Verspätungen wie mit einer Wärmebildkamera darstellen (orange für die stärkste Unpünktlichkeit), dann ergäbe das dieses Bild nach den Daten von Jasin Goldkorn. Grafik: Goldkorn
Von Micha Hörnle
Rhein-Neckar. Die kritischsten Kunden sind die regelmäßigen – wie beispielsweise Jasin Goldkorn. Der 17-Jährige pendelt jeden Tag zwischen dem Heidelberger Stadtteil Pfaffengrund und seiner Ausbildungsstelle in Mannheim-Wohlgelegen – und ärgerte sich ständig über unpünktliche Busse und Bahnen. Praktischerweise ist er Azubi für Informatik, und vor fast genau einem Jahr brachte er den RNV-Monitor im Internet zum Laufen, der mehr oder weniger genau ermittelte, wie viel Verspätung das wichtigste und größte Nahverkehrsunternehmen der Metropolregion hereingefahren hat.
Möglich machte das eine offene Schnittstelle der RNV, die – sofern man sich um einen Zugang beworben hat – Details zu den realen Abfahrts- und Ankunftszeiten, der sogenannten Echtzeiterfassung, liefert. Die Daten liefen auf einen von Goldkorn gemieteten Server – und irgendwann machte er auch noch eine Auswertung für den Zeitraum vom 1. April bis zum 31. Dezember 2019. Die Bilanz: In diesen neun Monaten fuhr die RNV eine Gesamtverspätung von 525.076,40 Minuten ein. Das ist, rein rechnerisch, fast ein ganzes Jahr.
Das hört sich zunächst einmal beeindruckend viel an. Allerdings macht die RNV eine Gegenrechnung auf: In dem Zeitpunkt, den Goldkorn untersucht hat, gab es etwa 2,2 Millionen Fahrten – und bei rund 525.000 Minuten Gesamt-Verspätung hätte jede Fahrt die geplante Abfahrtszeit um nur 15 Sekunden verfehlt.
Drei Minuten Verspätung gelten für die RNV als pünktlich
Aber mit Goldkorns Daten arbeitet die RNV nicht, im Grunde hält sie die Ergebnisse nicht für veröffentlichbar: "Unsere interne Verspätungsanalyse ist weitaus komplexer und immer wieder Gegenstand interner Überprüfung." So erfasst die RNV für ihre eigenen Zwecke andere Daten als die, die Goldkorn über die öffentliche Schnittstelle erhält: Beispielsweise geht es der RNV weniger um die Höhe der Verspätung, sondern um die Pünktlichkeit – jede Fahrt mit weniger als drei Minuten Verspätung gilt als pünktlich. Tatsächlich liegen 55 Prozent aller Verspätungen, die Goldkorn aufgelistet hat, unter drei Minuten, gelten also nach RNV-Kriterien als "fahrplanmäßig".
Fahrtausfälle werden gesondert ausgewertet, aber auch Fahrzeuge, die keinen Sender für die sogenannte Echtzeiterfassung haben. Wie sehr sich die RNV-Daten von denen Goldkorns unterscheiden, wollte der Sprecher nicht sagen. Aber er erklärt: "Wir hatten Herrn Goldkorn deshalb auch deutlich darauf hingewiesen, dass die Daten nicht für Analysezwecke geeignet sind. Vielmehr sind sie dafür gedacht, dass sich Programmierer und Technikaffine zum Beispiel eigene Abfahrtsmonitore erstellen können", sagte ein RNV-Sprecher gegenüber der RNZ.
Jasin Goldkorn pendelt jeden Tag von Heidelberg nach Mannheim. Die vielen Verspätungen waren der Grund für seinen RNV-Monitor. Foto: RotheTatsächlich erhält Goldkorn genau die Daten, die die RNV-Nutzer auch auf ihrer Abfahrtszeiten-App auf dem Smartphone sehen können. Das weiß Goldkorn auch, und er behauptet auch nicht, dass seine Datensätze die Nahverkehrsrealität eins zu eins widerspiegeln: "Das ist eher eine Richtgröße." Und da einige Fahrzeuge keinen Sender haben – nach RNV-Angaben ist aber deren Anteil sehr gering und betrifft vor allem Subunternehmer – und auch Fahrtausfälle in seinen Daten nicht auftauchen, geht er von noch mehr Verspätungen aus.
Hat also die RNV ein Pünktlichkeitsproblem? Ein Sprecher gibt zu: "Wir möchten nicht in Abrede stellen, dass es im letzten Jahr durchaus zu teilweise angespannten Verspätungssituationen kam. Gründe waren zum Beispiel die komplexen Baumaßnahmen im Heidelberger Verkehrsgebiet oder die Sperrung der Hochstraße Süd in Ludwigshafen. Solche besonderen Situationen lassen sich aber nicht aus den über die Schnittstelle zur Verfügung gestellten Echtzeitdaten analysieren."
Und doch, manches an Goldkorns Analyse scheint durchaus schlüssig zu sein: Drei der fünf RNV-Linien mit den meisten Verspätungen sind in Heidelberg: die Linie 24 (damals noch ein Busersatzverkehr für die Straßenbahn) und die beiden Buslinien 31 und 32; hinzu kommt die OEG (Linie 5) und in Mannheim die Linie E. Und: Generell scheinen Busse unpünktlicher zu sein als Straßenbahnen – was an sich logisch ist, denn sie fahren meist nicht auf eigenen Trassen, sondern schwimmen im stockenden Autoverkehr mit.
Aber Jasin Goldkorn analysiert nicht nur Daten, sondern fährt ja selbst jeden Tag mit dem Nahverkehr. Gibt es denn eine Tendenz? "Das ist ein reines Bauchgefühl: Die S-Bahn ist seltener verspätet, aber dafür ist die Verspätung heftiger. Bei der RNV ist es umgekehrt." Und ist es in Heidelberg schlimmer als in Mannheim? "Nein", findet der Azubi, "das ist in der Summe recht ausgewogen. Aber ich meine, es trifft in Mannheim immer dieselben Linien, und in Heidelberg so ziemlich alle."
In den nächsten Wochen plant er, den RNV-Monitor rund um die Uhr laufen zu lassen – wenn technische Probleme behoben sind. Denn allein im Januar zählte seine Seite 700 Besucher – obwohl die kaum einer kannte. Das Interesse ist also da – unabhängig davon, wie exakt die Datenbasis des ambitionierten Informatik-Azubis ist.
Info: Den RNV-Monitor mit einer Analyse gibt es im Internet unter: www.rnv-monitor.de.