Im Mannheimer Landgericht sind beim Prozess gegen einen jungen Mann noch viele offene Fragen zu klären. Die Attacke trug sich Mitte August in Schwetzingen zu. Foto: Gerold
Von Volker Widdrat
Schwetzingen/Mannheim. Vor der Strafkammer des Landgerichts Mannheim hat am Dienstag der Prozess gegen einen 21-jährigen Mann aus Sandhausen begonnen, dem die Staatsanwaltschaft versuchten Totschlag und gefährliche Körperverletzung vorwirft. Der Iraker soll am frühen Abend des 16. August vergangenen Jahres in einem Mehrfamilienhaus im Schwetzinger Ostpreußenring einen 32-Jährigen, der mit seiner Schwester nach islamischem Recht verheiratet ist, mit neun Messerstichen in den Rücken schwer verletzt haben.
Der Angeklagte soll damals in der Wohnung des Paares aufgetaucht sein, weil ihm die Schwester erneut von Gewalttaten des "Schwagers" berichtete, führte Oberstaatsanwalt Peter Lintz aus. Vorher habe er dem 32-Jährigen über eine Messenger-Nachricht angekündigt, dass er nach Schwetzingen kommen und die Sache "unter Männern klären" wolle. Der Angriff mit einem Klappmesser soll sich im Treppenhaus zugetragen haben, als der Angeklagte vor seinem "Schwager" hergelaufen sei. Weitere Stiche vor der Eingangstür habe das Opfer abwehren können, so Lintz.
Die Tat könne sich auch als versuchter Mord darstellen, weil der Geschädigte arg- und wehrlos gewesen sei, erklärte der Vorsitzende Richter Gerd Rackwitz. Der 21-Jährige machte am ersten Verhandlungstag keine Angaben zum Tatvorwurf. Er war im Juli 2015 mit seinem älteren Bruder nach Deutschland gekommen und hatte die ersten Monate in Asylbewerberheimen in Duisburg, Karlsruhe und Mannheim verbracht. Die Eltern waren im Irak geblieben, mit ihnen hält er telefonisch Kontakt, sein Vater ist dort Schulleiter. Zuletzt hat er von Sozialhilfe gelebt. "Ich nehme keine Drogen, aber ich trinke manchmal gerne Alkohol", sagte der junge Mann, der sehr gut Deutsch spricht.
Vier Streifenwagen hatten an jenem Abend den Tatort angefahren, nachdem zunächst eine Schlägerei gemeldet worden war, berichtete ein Beamter des Reviers Schwetzingen. Der Angeklagte habe "blutverschmiert dagestanden". Ein Zeuge habe auf ihn gedeutet. Der junge Mann habe sofort gestanden, auf seinen Schwager eingestochen zu haben, und sich widerstandslos festnehmen lassen. Das Opfer habe stark blutend vor der Eingangstür zum Wohnhaus gelegen und sei bis zum Eintreffen des Notarztes von Ersthelfern versorgt worden, sagte der Polizist.
Der Messerstecher habe die Tatwaffe auf einem Müllcontainer abgelegt. Die Ehefrau des Opfers soll einige Tage zuvor einen Strafantrag wegen häuslicher Gewalt gegen ihren Mann zurückgenommen haben. Der Angeklagte soll mit seinem Vater am Telefon darüber gesprochen haben, dass sein Schwager die Schwester öfters schlage.
Ein Nachbar gab zu Protokoll, er habe zwei Männer "gegenseitig im Schwitzkasten" gesehen. Beide seien dann hinter einem Baum verschwunden. Als der 32-Jährige verletzt vor dem Eingang lag, habe seine Frau neben ihm gekniet. Ein weiterer Nachbar berichtete, die Frau habe "in Panik" bei ihm geklingelt. Er sei sofort im Treppenhaus nach unten gegangen und habe dort den Schwerverletzten entdeckt. Er habe ihm Kompressen auf den Rücken gedrückt, um die Blutungen zu stillen.
Das Opfer sagte aus, der Angeklagte habe oben an der Wohnung geklingelt. Weil seine Tochter einen etwaigen Streit nicht hören sollte, sei er mit ihm nach unten gegangen. Im Treppenhaus habe sein "Schwager" dann plötzlich zugestochen. Er habe den 21-Jährigen noch an der rechten Hand, in der er das Messer hielt, festgehalten und ihn in die linke Hand gebissen. Dann habe er ihn nach draußen gezogen: "Ich wollte, dass die Leute uns sehen."
Er habe seinen Schwager immer wieder aufgefordert, sich nicht in die Ehe einzumischen und ihm sogar Hausverbot erteilt. "Ich habe ihn nicht für einen Feind gehalten und ihm sogar eine Ausbildung besorgt", meinte der 32-Jährige, bei dem durch die Messerstiche die Lunge und beide Nieren verletzt worden waren. Seine Frau habe er nicht geschlagen. Er habe ihr nur einmal den Mund zugehalten, weil sie über seine Mutter geschimpft habe. Das Jugendamt hatte dem Paar kurz vor der Bluttat wegen der Ehestreitigkeiten ein Beratungsgespräch im Beisein der Kinder angeboten.