Mannheim

Zirkusfamilie soll weg - aber wohin?

Seit Sommer 2015 leben die Franks mit ihren 40 Tieren auf einem Gelände am Rande Mannheims - Dort sind sie aber nur geduldet

01.03.2018 UPDATE: 02.03.2018 06:00 Uhr 3 Minuten, 37 Sekunden

Alexandra Finckh und ihr ältester Sohn Fernando Frank mit ihren Dromedaren. Sie sagen, den Tieren gehe es gut. Foto: Alfred Gerold

Von Alexander Albrecht

Mannheim. So wirklich einladend sieht’s hier nicht aus an der sogenannten Riedspitze in Sandhofen. Die feuchte Witterung hat den Boden aufgeweicht, der Platz ist sumpfig. Im Sommer 2015 hat die Zirkusfamilie Frank auf einer Grünfläche unterhalb der Altrheinbrücke ihre Zelte aufgeschlagen. Geduldet von der Stadt Mannheim. Eine provisorische Lösung, bis heute. Die Zugmaschine des früheren Zirkusses "Luna" war wenige Wochen nach der tödlichen Attacke eines Elefanten auf einen Rentner in Buchen liegen geblieben, nichts ging mehr.

Seither führen die Franks ein Leben im Schwebezustand und stehen mehr denn je vor einer ungewissen Zukunft. Die Franks, das sind der betagte Zirkusdirektor Walter und seine Frau Hilde sowie Sohn Stefan mit Lebensgefährtin Alexandra Finckh und deren vier Kindern. Als Teil der Familie bezeichnen die Acht auch ihre 40 Tiere: Katzen, Hunde, Schweine, Ziegen, Esel, Ponys, Dromedare.

In einem der Zelte steht Alexandra Finckh und begrüßt die rund 40 Besucher zum Tag der offenen Tür. Doch zum Feiern ist hier niemand zu Mute. Die Stimmung ist mies, die Nerven sind angespannt. Finckhs Augen wirken traurig, sie sieht abgekämpft aus, müde. Tapfer spricht die kleine, zierliche Frau in ihr Headset.

"Wir brauchen dringend ein Grundstück, circa ein bis eineinhalb Hektar groß", ruft Finckh den Gästen zu, die an ihren Kaffeetassen nippen. "Zum Pachten, Mietkauf oder auch kostenlos", konkretisiert die "Pressesprecherin". Denn die Familie will dauerhaft sesshaft werden, am liebsten in Mannheim. Die Franks sehnen sich nach einer Heimat, "wie sie jeder hat". Ganz so einfach ist das aber nicht. Das aktuelle Domizil befindet sich auf einem Gelände, das der Stadt gehört. Allerdings hat der benachbarte Wassersportverein (WSV) mit dem Grünflächenamt einen sogenannten Gestattungsvertrag darüber abgeschlossen - nachdem die Franks das Areal bereits nutzten, wie WSV-Vorsitzender Ralf Frödert auf RNZ-Anfrage sagt.

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Hintergrund

Hintergrund: Tödliche Elefantenattacke

Was genau in den frühen Morgenstunden des 13. Juni 2015 in Buchen geschah, ist bis heute unklar. Fest steht, dass Elefant "Baby", auch "Benjamin" genannt, das Stallzelt des Zirkus "Luna" auf dem Festplatz verließ,

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Hintergrund: Tödliche Elefantenattacke

Was genau in den frühen Morgenstunden des 13. Juni 2015 in Buchen geschah, ist bis heute unklar. Fest steht, dass Elefant "Baby", auch "Benjamin" genannt, das Stallzelt des Zirkus "Luna" auf dem Festplatz verließ, einen 65-jährigen Spaziergänger angriff und tötete. Fast eineinhalb Jahre ermittelten Polizei und Staatsanwaltschaft. Nichts wurde unversucht gelassen, eine Vielzahl von Zeugen befragt, Handydaten ausgewertet, Elefanten-Experten hinzugezogen. Doch die wichtigste Frage blieb unbeantwortet: Wer holte den Dickhäuter aus dem Zelt?

Juristisch ist der Fall seit Oktober 2016 abgeschlossen: Zirkusdirektor Walter Frank trägt die Verantwortung für die Attacke. Wegen fahrlässiger Tötung erhielt er einen Strafbefehl über 90 Tagessätze à 35 Euro. Das bedeutet laut Staatsanwaltschaft Mosbach aber nicht, dass ein Zirkusmitarbeiter "Benjamin" freigelassen hat, ebenso könnten auch militante Tierschützer der Elefantenkuh zur Flucht verholfen haben. "Es tut uns sehr leid, was damals passiert ist", sagt rückblickend Alexandra Finckh, die Lebensgefährtin von "Babys" Trainer Stefan Frank.

Nach wie vor wütend ist sie auf Peta. Die Zirkusfamilie fühlt sich von der Tierschutzorganisation verfolgt. Seit Anfang der 90er-Jahre seien Beleidigungen und Sachbeschädigungen an der Tagesordnung gewesen. "Es sind immer wieder Koppeln aufgeschnitten und Gehege geöffnet worden", berichtet Finckh. Über Jahre hinweg habe es Aufrufe zur Befreiung "Babys" gegeben - vor dem Gastspiel in Buchen sei es massiv geworden. Der Elefant lebt seit mehr als zweieinhalb Jahren im Safari-Park in Stukenbrock (Nordrhein-Westfalen). Der Zirkus hat sich von den Folgen der Elefantenattacke nie erholt. War die Familie Frank vor dem Unglück in der achten Generation unterwegs, blieben nur noch die Tierlehrer übrig. "Wir waren pleite und mit den Nerven am Ende", sagt Finckh. alb/rüb

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Der Verein richtet im Juni die Süddeutschen Kanu-Meisterschaften aus. Um das Gelände für die Teilnehmer, ihre Ausrüstung und Schlafplätze herzurichten, solle der Zirkus bis 1. April abgezogen sein, betont Frödert. Diesen Termin hat auch die Stadt Familie Frank mitgeteilt. Doch wo soll sie hin? Das fragen sich auch die Besucher beim Tag der offenen Tür. Finckh rät ihnen dazu, bei der Stadtverwaltung vorstellig zu werden, und klagt: "Wir werden bewusst hingehalten."

Stadtsprecherin Monika Enzenbach weist die Kritik zurück. Nach der technischen Panne der Zugmaschine hätten sieben Fachbereiche im Rathaus und auch die Buga GmbH das Anliegen der Familie geprüft. Ursprünglich hätten sich die Franks ein Grundstück mit einer Fläche zwischen 1,5 und drei Hektar gewünscht. Doch die Stadt sei nicht fündig geworden.

"Sehr zeitnah" sei die Familie aber darauf hingewiesen worden, "dass ein Grundstück, das zur Wohnnutzung mit einem oder mehreren Wohnwagen und zum Auslauf und Verbleib von Tieren geeignet ist, sich nur im Außenbereich der Stadt befinden kann", sagt Enzenbach. Im Oktober 2017 habe man mit der Familie vereinbart, bis Jahresende eine Lösung zu finden.

Doch die Franks lehnten ein Grundstück ab, das von privater Seite angeboten und auf dem früher eine Schweinemast betrieben wurde. Die Stadt hat sich darüber hinaus erkundigt, ob in einer anderen baden-württembergischen Kommune eine entsprechende Fläche zur Verfügung steht - ohne Erfolg. Zwar sei das Rathaus weiterhin im Gespräch mit Grundstücksbesitzern und unterstütze die Franks, wo es möglich ist, allerdings müsse die Familie nun "selbst und aktiv" nach einer Fläche für eine dauerhafte Bleibe suchen, teilt Enzenbach mit.

Inzwischen kann sich die Familie einen Umzug in die Region vorstellen, gegebenenfalls mit verkleinertem Wagen- und Tierbestand. Und zumindest in der Theorie wissen die Franks, wie es weitergehen könnte. Ihnen schwebt eine Kinder- und Jugendfarm mit Zirkusvorführungen, Streichelzoo und Ponyreiten vor. Regelmäßig kommen Schulklassen oder Gruppen aus der Schulkind- und Ferienbetreuung von Diakonie oder Caritas vorbei. Auch der Verein "Kinder am Rande der Stadt", der Sprösslingen aus einkommensschwachen Familien hilft, ist oft zu Gast. "Alexandra Finckh nimmt sich immer Zeit, sagt nie Nein", lobt eine Anwohnerin das Engagement der Zirkusfrau. Mittlerweile haben die Unterstützer rund 1000 Unterschriften für die Franks gesammelt.

Begeistert ist auch Myriam Schlude, Lehrerin an der Humboldt-Schule in der Neckarstadt-West, die zwei Söhne von Alexandra Finckh seit zweieinhalb Jahren besuchen. Die Siebtklässler hätten sich hervorragend entwickelt und gute Chancen, einen Werkrealschulabschluss zu machen. "Es würde uns wehtun, wenn sie die Schule verlassen müssten", sagt Schlude. Und auch Alexandra Finckh wünscht sich, "dass wir ihnen das nicht zumuten müssen". Zumal die beiden zu Zirkuszeiten wegen der Gastspiele in unterschiedlichen Orten immer wieder die Schule wechseln mussten und teils gemobbt wurden.

Es geht in dieser Geschichte aber auch ums liebe Geld. Die Stadt hat eine gewerbliche Nutzung des Geländes untersagt. Über Wasser hält sich die Familie durch kleinere Auftritte, etwa in Seniorenheimen, durch Spenden und Stefan Franks Job. "Es wäre ein Leichtes, die Tiere abzugeben oder staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Aber das wollen wir nicht", sagt Finckh. "Niemals" werde man sich von den Tieren trennen, denen es im Übrigen gut gehe und die "total entspannt" seien.

Das sieht Siegfried Heller anders. Der Mitinhaber eines angrenzenden Betriebs für Karosserie und Lack spricht von "unerträglichen Zuständen" auf dem Nachbargelände, in deren Folge sich eine Rattenplage entwickelt habe, die seine Eltern, 89 und 86 Jahre alt, stark belaste. Nicht hinnehmbar sei auch der "abscheuliche Gestank", der im Sommer vom Zirkus zu ihnen hinüber wabere. Auch seien die Tiere schon oft weggelaufen. Enzenbach bestätigt, dass das Veterinäramt bei Kontrollen immer wieder Mängel festgestellt habe, zum Beispiel bei der Ausbruchsicherung. "Bei allem Respekt: Es geht nicht mehr", meint Ralf Frödert vom Wassersportverein. Der Verein finanziere den Strom für die Zirkusfamilie vor. "Wir sehen die schwierige Situation", so Frödert. "Aber auch der WSV hat einen sozialen Anspruch und holt Kinder von der Straße."

(Der Kommentar wurde vom Verfasser bearbeitet.)
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