„Nachtschicht“-Mitarbeiter Kristijan Nuculovic (l.) und Michael Geiße (r.) mit der Bedienung einer Bar. Foto: Anspach
Von Julia Giertz
Mannheim. Alteingesessene und Zugewanderte, luxuriöses Loftwohnen und menschenunwürdiges Hausen in überfüllten Bruchbuden. Lärmende Partygänger und ruhesuchende Familien – im Jungbusch prallen die Interessen auf engstem Raum aufeinander. Die Gemengelage könnte Nährboden für Aggression und Gewalt sein. Doch in der Quadratestadt gibt es viele, die das nicht zulassen: von der Stadtverwaltung über die Polizei bis hin zu neuen Mitspielern.
Seit Juli ist im Stadtteil die "Nachtschicht" unterwegs. Menschen, die beobachten, was am Freitag- und Samstagabend im Kiez los ist und ohne erhobenen Zeigefinger erklären, was geht und was nicht. "Unsere Arbeit hier trägt dazu bei, dass in Mannheim nicht das gleiche passiert wie in Stuttgart und Frankfurt", sagt Quartiersmanager Michael Scheuermann mit Blick auf die Randale-Nächte in beiden Städten. Der Leiter des Gemeinschaftszentrums Jungbusch hat die "Nachtschicht" gemeinsam mit Vertretern der Bewohner entwickelt.
22 Uhr: Die "Nachtschicht" beginnt. Zum Team gehört heute der feinsinnige Dichter und Musiker Emiliano Trujillo mit viel Erfahrung in der Flüchtlingsarbeit. Mit auf Tour geht Christian Nuculovic, Staplerfahrer und Türsteher. Er ist im Jungbusch aufgewachsen und kennt das Viertel wie seine Westentasche. Der aus dem Eventbereich stammende Michael Geiße ist der Dritte im Bunde.
22.10 Uhr: Erste Station ist die Polizei. Dort tauscht sich Trujillo mit dem Einsatzleiter aus. Alles ist friedlich. Vor den rund 25 Gastro-Betrieben genießen die Menschen den lauen Spätsommerabend.
22.15: Für den Notfall tauschen Trujillo und der Beamte Handynummern aus. Das Konzept beruht darauf, dass die "Nachtschicht" erst mal auf ihre Art und Weise versucht, Spannungen zu lösen. Erst wenn die Strategie mit Respekt und alternativen Lösungen nicht wirkt, steht die Polizei parat. Beispiel: Zwei Männer geraten aneinander. Die "Nachtschicht" geht nicht dazwischen, sondern überzeugt die Freunde der Kontrahenten, dies zu tun. Bislang gab es zwei schwierige Fälle, in denen die "Nachtschicht" die Polizei hinzurufen musste.
22.20 Uhr: Die "Nachtschicht" checkt den Quartiersplatz am Hafen. Entspannt plaudern junge Leute auf Holzbänken miteinander. Dabei war der Ort noch vor wenigen Wochen ein Brennpunkt mit exzessivem Alkoholkonsum und Lärm. Die Flaschen konnte man an der Tankstelle nebenan rund um die Uhr kaufen. Dem hat nun ein Alkoholverkaufsverbot den Riegel vorgeschoben.
22.25 Uhr: Sozialarbeiter Scheuermann zeigt mit Erde gefüllte Holzkisten. Anwohner können darin Minigärten anlegen. "Das ist ein Signal für ein Gemeinschaftsgefühl im Vielfaltsstadtteil", sagt er. "Wir sind keine Spaßbremsen, wir wollen das Viertel auch kulturell bereichern", sagt Geiße.
22.30 Uhr: Die "Nachtschicht" schaut sich auf der Promenade um, die an den Platz grenzt. Betül Yörük und Celal K., die sich mit Freunden getroffen haben, halten die "Nachtschicht" für einen Fortschritt. "Davor gab es Stress, Müll, Wildpinkeln von Jugendlichen", erzählt der 20-jährige Celal. Wie andere Jungbuschler findet er es sinnvoll, dass nun eine Stufe unter der Polizei eine Konfliktlösung möglich ist.
22.40 Uhr: Eine Polizeistreife trifft auf der Promenade zufällig mit der "Nachtschicht" zusammen. Laut Scheuermann hält sich die an Wochenenden um 30 Beamte verstärkte Polizei im Jungbusch sehr zurück. Die Distanz sei nötig. "Wir werden nie als untergehaktes Team auftreten."
23 Uhr: Eine brisante Zeit für die "Nachtschicht": Verschwinden die Tische und Stühle vor den Kneipen jetzt wirklich? Während manche Gastronomen ihre Gäste lieber noch länger draußen bewirten wollen, hat die "Nachtschicht" die Ruhe der Anwohner im Blick. Es wird leer vor den Lokalen.
23.04 Uhr: Bei einem Restaurant geht das Trujillo nicht schnell genug. Er tritt hinein, um auf die Regeln hinzuweisen. "Alle Gäste draußen haben bereits bezahlt", sagt er und gibt sich zufrieden.
23.05 Uhr: Ein Gast fühlt sich gemaßregelt. "Ich habe nicht mal mein Getränk zu Ende trinken können", beschwert er sich. Scheuermann macht auf die bereits äußerst großzügige Regelung zur Außenbestuhlung aufmerksam. "Vor Corona musste die schon um 22 Uhr beendet werden."
23.30 Uhr: Kathi Brock, Betreiberin der "Beilerei", ist voll des Lobes für die Arbeit der "Nachtschicht" und dankbar für die Hilfe beim Umsetzen der Corona-Regeln.
0 Uhr: Trujillo kehrt ohne seine Kollegen zurück zum Quartiersplatz. Von Überfüllung keine Spur. Der 48-Jährige gönnt sich eine kurze Pause. In einer Eckkneipe wird ihm ein Espresso spendiert.
0.15 Uhr: Der gebürtige Argentinier verlässt die Gaststätte. Eine Gruppe Studenten, die ihn in einem Fernsehbericht gesehen hat, erkennt ihn wieder. BWL-Student David ist begeistert: "Wenn ich jetzt mal Probleme habe, weiß ich, an wen ich mich wenden kann."
0.30 Uhr: Trujillo verschwindet wieder in der Nacht, um im Kiez nach dem Rechten zu sehen.
3 Uhr: Schicht für die Nachtschicht.