Von Nicoline Pilz
Ilvesheim/Rhein-Neckar. Sie sehen nichts oder nur sehr wenig und übernehmen doch Verantwortung für andere: In der Veranstaltungsreihe "Kultur im Dunkeln", die an der Schloss-Schule in Ilvesheim in diesem Jahr zum 15. Mal über die Bühne geht, sind die Rollen vertauscht. Blinde nehmen Sehende an die Hand, um sie sicher an ihren Platz zu führen.
"Das ist echt cool", sagt die 16-jährige Renée, die zum Schulbeginn im Herbst neu in die von Gunter Bratzel geleitete Schüler-AG eingestiegen ist. Entwickelt hat sich das Ganze aus einer Projektwoche heraus. Seitdem kommen jedes Jahr Singer und Songwriter oder Instrumentalisten aus der Region, aber auch aus der weiteren Umgebung und dem Ausland, um im "Schwarzen Salon", dem Vorraum zur Kegelbahn, zu gastieren.
Die 80 Plätze sind in aller Regel rasch ausverkauft. Stammgäste kommen immer wieder gerne, Neulinge gesellen sich dazu. Wer sich auf die Reise in die Dunkelheit einlässt, ist anfangs nicht selten nervös. "Es macht Spaß, den Leuten die Angst zu nehmen", meint Luca, 17 Jahre, ebenfalls neu dabei. "Bei manchen merkt man, dass sie aufgeregt sind. Sie drücken dann unseren Arm ziemlich fest und zittern etwas", schildert der 15-jährige Santo. Nach einer Pause ist er wieder in die AG eingestiegen und übernimmt jetzt eine Art "Zubringerdienst", wie er sagt. "Zwischen der Theke und dem Setzdienst gibt es eine Lücke, die ich ausfülle", meint er.
Die zwölfköpfige Gruppe, so groß wie noch nie, hat verschiedene Dienste trainiert. "Jeder kann so alles leisten", sagt Gunter Bratzel. Zu Schuljahresbeginn gab es für alle einen Intensivkurs in Theorie und Praxis. Vor jeder Veranstaltung wird nochmals eigens geprobt. Die einen führen die Gäste herein und überbringen sie entweder an den Setzdienst, der weiß, wo in welcher Reihe noch ein Platz ist, oder begleiten sie an die Theke.
Der 15-jährige Alessandro steht an der Kasse, ein erfahrener Kassierer, der am Staatlichen Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrum mit Internat, Förderschwerpunkt Sehen, noch diverse andere "Finanzämter", beispielsweise im Schülerkiosk, übernommen hat. "Meistens geben die Leute es passend oder als Schein maximal fünf Euro", schildert er. Das mache das Rückgeld berechenbarer. Getränke gebe dann jemand anderes aus.
"Und dann geht der Kunde weiter", sagt er. Auch der Dunkel-AG erfahrene 15-jährige Theodor spricht von "Kunden", was den Lehrer selbst etwas erstaunt. Aber sie verdeutlichen dabei vielleicht, dass sie sich selbst als Dienstleister verstehen, die einen Service erbringen, eine Rundum-Betreuung der Gäste von Anfang bis zum Schluss.
Dass zum Beispiel die 17-jährige Berivan oder die 16-jährige Oufe dabei sind, ist vor allem Rawan zu verdanken. Die 15-Jährige begeisterte ihre Freunde für die Dunkel-AG, die im letzten Jahr personell etwas schwächelte. "Ich hatte mir da schon überlegt, ob wir die Reihe einstellen müssen, weil fünf Leute zu wenig sind", meint Bratzel. Doch nach dem ersten Abend sei Rawan mit leuchtenden Augen vor ihm gestanden und habe gesagt, wie toll es war.
"Jetzt ist die Gruppe schön groß, das macht mehr Spaß", sagt Bratzel. Das finden die Schüler auch. Sie sagen, wie schön ihre Gemeinschaft sei und der Kontakt zu den Künstlern. Leon, 14 Jahre, genau wie der 15-jährige Sayon schon ein "alter Hase", freut sich: "Mir hat Chris Cosmo ein Käppi geschenkt." Ohne die Schüler seien die Künstler ja auch "aufgeschmissen", schildert Bratzel. Klar, auch sie agieren im Dunkeln. "Die Verantwortung, die wir übernehmen, das ist so cool", findet Ilayda. Sie ist mit 18 Jahren die Älteste, abgesehen von einem "Ehrenamtler", der die Schule bereits verlassen hat, der Dunkel-AG aber die Treue hält, wie Bratzel schildert.
Mit 13 Jahren ist Fabian der Jüngste, drängelte aber schon länger, dass er mitmachen wolle. "Ich habe Sonderaufgaben", erzählt er stolz. Künstlerbetreuung und Pförtnerdienste zählen dazu. Zu Beginn hat die AG ein Ritual, um den Teamgeist zu stärken: Alle fassen sich an den Händen, konzentrieren sich, stampfen mit den Füßen auf und stoßen einen gemeinsamen Schrei aus. Danach geht es an den Dienst. Und der Erfolg ist da. Sie wurden bereits ins Fernsehen eingeladen und die Gemeinde würdigte die überregionale Strahlkraft der Kulturreihe mit einer Verdienstmedaille.
Info: Für die nächsten Veranstaltungen gibt es noch Karten: Für den 7. November "Dark Folk aus Irland", für den 3. Dezember "Bardensang und Zauberklang" sowie für den 23. Januar mit Tobias Bach, Singer-Songwriter aus Heidelberg. Tickets unter Telefon 0621/49 69 0 zu Schulzeiten.