Die Ernennung des Dorfs Hockenheim zur Stadt erfolgte am 27. Juli 1895. Der Großherzog ließ sich aber erst am 21. Juni 1896, also ein Jahr später, in Hockenheim blicken. Foto: Stadtarchiv Hockenheim
Von Harald Berlinghof
Hockenheim. Im Generalanzeiger Hockenheim war es nur eine kleine Randnotiz. Aus Schwetzingen kam wenigstens ein Glückwunschtelegramm des Oberamtmanns, dessen Titel vergleichbar ist mit dem des heutigen Landrats. Weil seine königliche Hoheit des Großherzogs "gnädigst auszusprechen geruht hatte", dass das Dorf Hockenheim mit Bekanntmachung vom 27. Juli 1895 zur Stadt erhoben wurde. Damit war der Weg frei für die Entwicklung des großen Bauerndorfs, das vor allem Tabak und Hopfen produzierte, zur Stadt. Die erläutert nun der stellvertretende Leiter des Mannheimer Marchivums, Harald Stockert, in einem Video, das man sich auf der Homepage der Stadt ansehen kann.
125 Jahre Stadtrechte – das sieht zunächst nicht nach viel aus. Aber viele Städte im Rhein-Neckar-Kreis haben deutlich weniger Jahre auf dem Buckel. Leimen zum Beispiel wurde erst 1981 zur Stadt ernannt. Rauenberg erhielt die Rechte im Jahr 1975 und Walldorf im Jahr 1901. Speyer hingegen war schon im 14. Jahrhundert an der Reihe, und Ladenburg gar schon in römischer Zeit. 125 Jahre kann man also durchaus feiern. Doch das Jubiläum im Jahr 2020 fiel wegen der Corona-Pandemie ins Wasser.
Die Tabakfabriken gab es schon, als Hockenheim noch ein Dorf war. Das hatte unter anderem damit zu tun, dass der Ort an einer wichtigen Handelsroute zwischen Frankfurt und Basel lag. Eine der Fabriken hatte 1867 bei der Pariser Weltausstellung eine Bronzemedaille gewonnen. Das war immerhin schon etwas. Ein Jahr später gab es dann ganze zwei Laternen im Dorf.
Die Einwohnerzahl stieg von 4000 im Jahr 1868 auf rund 5200 im Jahr der Stadternennung. In den 17 Zigarrenfabriken waren mehr als 1200 Menschen beschäftigt. Diesen Bedarf konnte man keinesfalls mit der eigenen Bevölkerung decken. Durch den Mangel an Tagelöhnern wurde Hockenheim zu einer Pendlerstadt. Vom Apotheker bis zum Zuckerbäcker waren praktisch alle damaligen Berufe im Ort vertreten. Die Ernennung zur Stadt kam allerdings überraschend. Denn die Amtmänner aus Schwetzingen äußerten sich bei ihren zweijährlichen Kontrollbesuchen eher negativ über Hockenheim. Die gepflasterten Straßen waren voller Löcher. Und weil die Amtmänner per Kutsche herüberfuhren, bekamen sie das ganz unmittelbar zu spüren. Vom Gemeinderat hatten sie ebenfalls keine gute Meinung. "Diese Leute sind nur Figuranten. Nur in Diäten machen sie sich stark", ist in historischen Akten von 1868 zu lesen.
Die Leichenschmäuse arteten in Hockenheim oft in Gelage aus. Ganze 18 Gasthäuser gab es damals im Ort. Gewalt und Alkohol seien in Hockenheim weit verbreitet, betonten die Amtskontrolleure. Die kommunale Ortspolizei und der Bürgermeister griffen nicht ausreichend durch, bedauerten sie. Solchen Leuten das Attribut Stadt zu verleihen, war daher eher umstritten. Aber die Hockenheimer ließen nicht locker. Als die Rheintalbahn gebaut wurde, bemühte man sich um einen Schienenanschluss mit Bahnhof. Als das gelang, war ein Grundstein zur wirtschaftlichen Entwicklung gelegt. Damit prosperierte die Stadt endgültig. "Der Bahnanschluss und die Tabakfabriken waren wichtige Beschleuniger der Entwicklung. Sie brachten aber auch soziale Probleme mit sich: Armut, Kinderarbeit und sogar die Tuberkulose", erklärt Stockert.
Die Wachstumsraten in Bezug auf die Bevölkerung waren einzigartig in der Region. Es gab genügend Land rund um Hockenheim, und die Menschen ließen sich dort nieder. Der Ort lockte Binnenwanderer aus der Umgebung an. So machte sich bei den Amtmännern ein Gesinnungswandel breit. 1893 bescheinigte man Hockenheim eine "ruhige und intelligente Bevölkerung". Trotzdem ließ sich der Großherzog, den man um die Stadtrechte bitten wollte, nicht im Dorf blicken. Erst als sich Innenminister August Eisenlohr für Hockenheim einsetzte, gelang dies. Am 27. Juli 1895 wurde das Dorf zur Stadt erhoben. Es gab eine spontane Feier mit neidischen Neulußheimern und vielen glücklichen Hockenheimern – außer ein paar Sonderlingen und Käuzen – wie in historischen Quellen zu lesen ist. "Viele Bürger, deren Dörfer zur Stadt ernannt wurden, waren damals gar nicht glücklich darüber", so Stockert. Aber in Hockenheim wollten die Bürger diese Veränderung. Das Ansinnen kam von unten. Man könne es im Gegensatz zu den Obrigkeitsernennungen der Nachbarn als eine demokratische Stadtwerdung bezeichnen, sagt er.
Info: Das Video "125 Jahre Stadtrechte in Hockenheim" gibt es im Internet unter www.hockenheim.de/startseite/kultur/125+jahre+stadtrechte.html