Der Corona-Lockdown hat die Situation für viele von Gewalt betroffene Frauen verschärft, da der Mann nun viel seltener das Haus verließ. Symbolbild: Gambarini
Von Olivia Kaiser
Mannheim/Heidelberg. Michaela tippt schnell die Telefonnummer der Beratungsstelle des Vereins "Frauen helfen Frauen" in Heidelberg ein. Am anderen Ende meldet sich glücklicherweise nicht der Anrufbeantworter, sondern eine Frauenstimme. Doch Michaela kann nur im Flüsterton über ihre Notlage sprechen. Seit dem Corona-Lockdown ist ihr Mann immer zuhause – und seine Gewaltausbrüche haben zugenommen. Michaela hat Angst. Ihr Mann ist im Nebenzimmer und darf nicht merken, dass Michaela telefoniert – und schon gar nicht, mit wem.
Michaela gibt es nicht, aber sie steht für viele Frauen, für die der Corona-Lockdown eine Verschlimmerung ihrer häuslichen Situation bedeutete. "Meine Kollegin hat so einen Flüster-Anruf bekommen", erzählt Kathrin Himmelmann, Mitarbeiterin des autonomen Frauenhauses Heidelberg, das der Verein "Frauen helfen Frauen" betreibt. Während des Lockdowns gingen in der Beratungsstelle weniger Anrufe ein als in den Zeiten vor Corona. Doch das lässt sich mit dem Beispiel von Michaela gut nachvollziehen. "Viele Frauen hatten einfach keine Gelegenheit, sich an uns zu wenden", so Himmelmann.
Denn die Gelegenheiten, die Frauen oft für Hilfe-Anrufe nützen, waren während des Lockdowns weggefallen: das Kind in den Kindergarten bringen oder Arztbesuche. Auch Freundinnen, die einem Mut zusprechen, konnten oft nicht besucht werden. Die Frauen waren auf sich allein gestellt, mit einem Peiniger, der ebenfalls kaum mehr das Haus verlässt. "Wir raten Frauen stets, in einer akuten Gefahrensituation die Polizei zu verständigen", betont Himmelmann, die auf Studien verweist, die besagen, dass die häusliche Gewalt während des Lockdowns zugenommen hat.
Einen signifikanten Anstieg der Fallzahlen kann Kriminalhauptkommissar Torsten Brenner nicht feststellen. Er leitet die Koordinierungsstelle "Häusliche Gewalt" im Polizeirevier Mannheim. "Es gibt tendenziell eine leichte Zunahme, genaueres wissen wir, wenn die Statistik für 2020 vorliegt." Er wisse, dass im helfenden Spektrum eine Zunahme gemessen werde. Allerdings, so gibt er zu bedenken, erfasst die Polizei nur die Fälle, bei denen sie auch tatsächlich hinzugezogen wird. "Über das Dunkelfeld kann ich natürlich nichts sagen", betont Brenner. "Ich kann nur an betroffene Frauen appellieren, sich an uns zu wenden. Leider gibt es viele Frauen, die sich nicht zu einer Anzeige durchringen können." Brenner und sein Team arbeiten eng mit Beratungsstellen und Frauenhäusern zusammen. "Wir haben eine tolle Helferstruktur in der Region", betont er.
Deshalb ist es wichtig, dass die Frauen diese Stellen auch erreichen können. Bei "Frauen helfen Frauen" in Heidelberg wurden die Beratungszeiten erhöht, die Kommunikation mit den Frauen findet jetzt auch online oder per Videochat statt. So ist es auch beim Notruf und Beratung für sexuell misshandelte Frauen und Mädchen in Mannheim. "Einige Zeit haben wir unsere Sprechzeiten außer Kraft gesetzt und immer – mit wenigen Ausnahmen – das Telefon abgenommen", erzählt Martina Schwarz, die Leiterin der Psychologischen Beratungsstelle. Vermehrte Hilferufe während und nach dem Lockdown könne man aber nicht vermelden.
"Nachdem die ersten Lockerungen kamen, meldeten sich dann allerdings Frauen verstärkt bei uns", betont Kathrin Himmelmann. Vor allem nachts und am Wochenende seien die Hilferufe eingegangen. Doch auch während des Lockdowns war der Hilfsapparat nicht gelähmt. Himmelmann erzählt von einer Frau, die sich an das autonome Frauenhaus wandte, das allerdings voll belegt war. In der Hochzeit der Pandemie gelang es, sie in einem anderen Frauenhaus unterzubringen.