Karlsruhe. (dpa-lsw) Die beiden riesigen Kühltürme kann man schon von weitem sehen. Nur aus einem dringen noch weiße Nebelwolken gen Himmel. Wenn demnächst Block 2 des Kernkraftwerks Philippsburg bei Karlsruhe abgeschaltet wird, versiegt auch der Rauch über dem zweiten Kühlturm für immer. Denn bis spätestens 31. Dezember 2019 muss der Meiler endgültig vom Netz genommen werden. Baden-Württemberg vollzieht damit den nächsten Schritt auf dem Weg zum Atomausstieg. Im Südwesten läuft dann nur noch ein Meiler in Neckarwestheim im Kreis Heilbronn.
Auch wenn der genaue Tag der Abschaltung von KKP 2 noch nicht bekannt ist - "Baden wäre dann schon mal atomkraftfrei", sagt Harry Block. Der inzwischen 70 Jahre alte Anti-Atomkraft-Aktivist aus Karlsruhe kämpft seit 45 Jahren gegen die Kernenergie in Baden-Württemberg und wettert als EnBW-Aktionär fast ebenso lange gegen die Kraftwerks-Betreiberin EnBW.
Auf jeder Hauptversammlung des Karlsruher Energieversorgers war er dabei, jeden Erörterungstermin zum Rückbau der Meiler in Philippsburg hat er nach eigenen Worten mitgemacht. Während es laut EnBW keine nennenswerten Zwischenfälle in Philippsburg gab, habe er 327 gezählt, davon einige gravierende. "Ich hab die Nase so voll von all dem", sagt er. Am 29. Dezember will er gemeinsam mit Mitstreitern feiern, vor dem Eingang des Philippsburger Kraftwerkgeländes, mit Sekt und Brezeln.
Ursprünglich lieferten fünf Meiler im Südwesten Atomstrom. Obrigheim ist schon seit 2005 vom Netz und wird seit 2008 zurückgebaut. 2011 endete die Stromproduktion für Block 1 (KKP 1) in Philippsburg sowie Neckarwestheim (GKN I). Jetzt ist KKP 2 dran und bis zum Jahr 2022 wird auch GKN II in Neckarwestheim stillgelegt. Der Rückbau der schon abgeschalteten Meiler ist in vollem Gange.
Bei der EnBW herrschen Zuversicht und demonstrativer Optimismus angesichts der Herausforderungen durch Stilllegung und Abbau. Einst war dort die Kernkraft gepriesen und verteidigt worden. Heute konzentriert sich das Unternehmen auf erneuerbare Energien und hat sein Portfolio unter dem EnBW-Chef Frank Mastiaux komplett umgekrempelt. Vom früheren Image des "Atomstromers" hat sich der Energieversorger längst verabschiedet.
Konsequenterweise ist Mitte November beim letzten Presse-Rundgang im Block 2 vor dessen Abschaltung von Kernenergie-Begeisterung keine Rede mehr. Umso mehr aber von den reibungslosen Planungen und Abläufen für den Rückbau. "Unsere Strategie war immer: Sicherer Rückbau, Klarheit für Mitarbeiter, Öffentlichkeit und Politik", sagt Jörg Michels, Geschäftsführer der EnBW Kernkraft GmbH. Von Wehmut will er nichts wissen. Der Atomausstieg, der 2011 nach der Erdbeben- und Tsunamikatastrophe im japanischen Fukushima beschlossen wurde, sei eine politische Entscheidung gewesen. Den Rückbau sieht er als interessantes, anspruchsvolles Projekt. "Es ist wie ein Neubau", sagt er.
Noch brummen in Philippsburg 2 im Maschinenhaus die riesigen Turbinen, tausend Tonnen rotierende Masse, die den Boden der Halle erbeben lassen. Die unter drei großen grün gestrichenen Stahlhauben drehenden Turbinen treiben den Generator daneben an, von dem aus der Strom ins öffentliche Netz eingespeist wird. Ein Sechstel des Strombedarfs Baden-Württembergs wird von KKP 2 gedeckt. Nach der Abschaltung soll der Strom aus anderen Quellen kommen, etwa aus den Offshore- und Onshore-Windparks, so genau bekommt man da keine Auskunft. Die EnBW sei darauf jedenfalls bestens vorbereitet, betont Michels.
Die eigentliche Abschaltung wird in der sogenannten Warte erfolgen, einer Art Riesenschaltzentrale, deren Wände mit Messinstrumenten, Digitalanzeigen, Tafeln mit Tabellen übersät sind. Im linken Teil der Warte wird der nukleare Teil, der Reaktor, bedient und überwacht. Im rechten Teil die Turbinen. Am Tag X, spätestens bis Mitternacht des 31. Dezember, geben dann die Mitarbeiter den entscheidenden Befehl. Erst wird die Reaktorleistung heruntergefahren, dann der Generator vom öffentlichen Netz genommen, dann die Kettenreaktion durch Einfahren der Brennstäbe gehemmt und schließlich gestoppt. "Dann ist die Anlage endgültig abgefahren", sagt Michels. Das Prozedere dauert nur einige Stunden und ist genau wie bei einer Revision. Nur dass diesmal wirklich Ende ist.
Die Lichter im AKW Philippsburg gehen deswegen aber noch lange nicht aus. Die Brennstäbe müssen drei bis vier Jahre ins Abklingbecken gehen, bevor sie in Castoren gepackt und ins Zwischenlager am Standort gehen. Der Reaktordruckbehälter muss fernbedient zerlegt werden. Der Generator und die Turbinen müssen demontiert werden. Die rund 150 Meter hohen Kühltürme müssen gesprengt werden. Abfall und Bauschutt muss, wo nötig, von Radioaktivität befreit, muss recycelt, auf Deponien verbracht oder zwischengelagert werden.
Der Philippsburger Bürgermeister Stefan Martus (parteilos), bei Inbetriebnahme der beiden Blöcke noch längst nicht im Amt, ist nicht gerade euphorisch. "Bis der Meiler komplett weg ist, dauert es noch 15 bis 20 Jahre", sagt er. Gewerbesteuereinnahmen würden auf Dauer wegfallen. Wie viel das ist, unterliegt seinen Worten zufolge dem Steuergeheimnis. Auch in der Bevölkerung sei die Stimmung zwiespältig. "Emotional wird das für viele ein Einschnitt sein."
Er freut sich aber auf die Sprengung der beiden Türme. "Sie sind zwar zu einer Landmarke geworden" erklärt er. "Wenn sie aber weg sind, ist das ein deutliches Zeichen für die Energiewende." Auf dem Gelände entsteht dann ein riesiger Konverter. Das Umspannwerk wird als südlicher Endpunkt einer Gleichstromleitung des Stromprojekts Ultranet gebraucht. Die 340 Kilometer lange Trasse soll Strom von der Nordseeküste bis in den Süden Deutschlands bringen. Damit auch nach 2022, wenn alle deutschen AKWs Geschichte sind, die Stromversorgung gesichert ist.