Von Nicoline Pilz
Edingen-Neckarhausen. Nein, mit so einem Wirbel hatte Neckarhausens Apotheker Thomas Luft nicht gerechnet, als er am 30. Dezember abends beschloss, es einer Kollegin aus Niedersachsen gleichzutun und die Januarausgabe von "Medizini", einem Apothekenmagazin für Kinder im Alter von fünf bis zwölf Jahren, nicht auszulegen.
In dieser Ausgabe thematisiert der Münchner Wort & Bild Verlag die Frage: "Wie zufrieden bist du mit deiner Figur?" In dem siebenteiligen Test können Kinder verschiedene Antworten ankreuzen, die am ehesten auf sie zutreffen sollen. Ein Beispiel: "Alle in deiner Klasse tragen jetzt diese superengen Hosen. Bei dir sitzen sie viel zu knapp und sehen nicht gut aus. Was tust du?" Diese Fragen und auch die Bildauswahl eines Mädchens, das vor dem Spiegel ihren Bauch einzieht, lehnt Apotheker Luft als misslungen ab.
"Als Eltern von kleineren und größeren Kindern finden wir es falsch, bereits in diesem Alter Druck in Richtung ‚Bin ich zu dick‘ aufzubauen, beziehungsweise den Blick in Richtung Schlankheitswahn zu schärfen", schreibt der Apotheker auf seiner Homepage zur Begründung. Seine Kollegin Ann-Katrin Kossendey-Koch, die das Ganze angestoßen hat, geht auf ihrer Facebook-Seite sogar noch weiter und schreibt von "... einem solchen schwachsinnigen Text mit Suggestivfragen", der kein Kind vor Magersucht rette, sondern im Gegenteil noch "unbedarften Kindern" einimpfe, "dass es wichtig sei, sich über die eigene Figur den Kopf zu zerbrechen".
Statt Kalorientabellen solle man Kindern doch bitteschön echte Werte an die Hand geben. Als Apothekerin und Ernährungsberaterin für Kinder mache sie sich völlig unglaubwürdig, wenn sie so einen Test an kleine Kinder abgebe. Eine solche Herangehensweise an die Problematik halte sie für absolut falsch.
Thomas Luft teilt diese Meinung und erhält Unterstützung von Kunden und weiteren Kollegen. Die Verweigerung des Monatsmagazins Januar von "Medizini" zieht Kreise. "Weitere Kollegen wollen sich anschließen", meinte er gestern auf Anfrage. "Das Thema ist wichtig, der Ansatz des Magazins ist falsch", meint er. Der Wort & Bild Verlag rechtfertigt sich. Gegenüber Kassendey-Koch ließ Chefredakteur Harald Lorenz wissen, der Test solle Kindern helfen, ihr Selbstbild besser zu verstehen; und man versuche mit diesem Test, gefährdete Kinder vor der Magersucht zu retten. Die Nachfrage beim Verlag, ob dieser zur Kritik an der Umsetzung des Themas in der Februarausgabe Stellung nehmen wird, erbrachte keine direkte Antwort. Man solle doch eine E-Mail schicken, wobei die garantierte Antwort der Chefredaktion etwas dauern könne.
Es ist nicht ganz abwegig, dass dem Verlag dieser Test um die Ohren fliegt: In der Schweiz griff eine weitere Kollegin unter "pharmama" die Sache auf. "Sie kommt zur gleichen Einschätzung wie wir hier", sagt Luft. Bei ihm klingelt unterdessen das Telefon, weil sich das Fernsehen ankündigt. Die Hamburger Morgenpost und der "Stern" interessierten sich ebenfalls für das Thema. "Das trifft einen Nerv", weiß Luft, selbst Vater einer viereinhalbjährigen Tochter. Falsche Schönheitsideale seien bereits bei Kindergartenkindern Gegenstand von Vergleichen untereinander, stellt er fest. Und Kinder im Grundschulalter fragen Diäten nach.
Er verweist aufs Nachbarland Frankreich, wo kürzlich die Gesetzgeber entschieden haben, keine sogenannten "Magermodels" auf den Laufstegen zuzulassen. Und er betont: "Unsere Aufgabe als Eltern und auch als Apotheker und PTA ist es, Kindern die Grundlagen einer gesunden und ausgewogenen Ernährung zu vermitteln. Dabei sollte im Kindesalter noch nicht auf die Figur geachtet werden, da diese durch verschiedene Wachstumsphasen geprägt ist und sich oft verändert."
Seine Entscheidung, "Medizini" im Januar nicht auszulegen, stößt inzwischen bei 223 Facebook-Nutzern auf Zustimmung, 71-mal wurde sein Beitrag geteilt. Neben der überwiegend positiven Resonanz gibt es auch andere Meinungen: Angesichts von über 50 Prozent übergewichtiger Kinder hätte Luft das Magazin besser doppelt auslegen sollen, schreibt ein Nutzer. Eine zynische Einstellung, finden etliche von Lufts Kunden. Bei Kindern ein Bewusstsein für Bewegung und gesunde Ernährung zu schaffen sei viel wichtiger, als eine Zeitschrift, Maßband und Waage vor sie hinzustellen, kommentiert eine Leserin.
Online hat der Verlag den Test jetzt zurückgezogen. "Ich hätte nie gedacht, dass das alles solche Wellen schlägt", staunt Apotheker Luft. Und: "Mir ging es um das Signal - und das ist auch angekommen."