Das Quartier ist eine grüne Oase, die zum Stadtbezirk Waldhof gehört. Die Schrebergärten sind mitten im Viertel zu finden. Fotos: Gerold
Von Marco Partner
Mannheim. Schrebergärten mitten im Viertel. Angelegte Sonnenblumenfelder und lange Beete voller Tomatenstauden statt kleiner Basilikumpflänzchen auf Fensterbrett und Balkon. Als Gegenmodell zur fortschreitenden Industrialisierung ist das Konzept der Gartenstadt einst entworfen worden. Um dem hart schuftenden Arbeitermilieu durch den großflächigen Eigenanbau von Obst und Gemüse im direkten Wohnumfeld eine gesunde Ernährung zu ermöglichen. Im Stadtteil leben die Menschen längst nicht mehr als Selbstversorger. Seinen naturnahen Charme hat Mannheims grünstes Quartier aber bis heute behalten.
Im Langen Schlag gibt es noch Holzzäune, Straßenschilder in Sütterlinschrift und riegelartige Arbeitersiedlungen aus den 1910er- und -20er-Jahren. Was irgendwie wie auf dem Reißbrett entworfen und stark britisch wirkt, ist es auch. Als Reaktion auf die schlechten Wohn- und Lebensverhältnisse erfand der Londoner Stadtplaner Ebenezer Howard 1898 das Konzept der Gartenstadt: Siedlungen mit kleinen Häusern auf großen Grundstücken, auf denen eine Art Subsistenzwirtschaft betrieben wird. Anfang des 20. Jahrhunderts fasste die Idee auch in Mannheim Fuß.

Heute sind die einst 5000 Quadratmeter großen Parzellen kleiner geworden, die Bebauung enger, die Bevölkerung gewachsen. Im immerhin auch schon 50 Jahre alten Neubaugebiet verschwinden Fahrradfahrer und Jogger im angrenzenden Käfertaler Wald, das Herzstück aber ist der Freyaplatz im alten Kern der Gartenstadt. 1972 eröffnete hier der gebürtige Ludwigshafener Bernd Meier seine Apotheke gegenüber dem blauen Rathaus.
Er verliebte sich so sehr in das Viertel, dass er drei Jahre später mit seiner Familie herzog. "Ich fühle mich immer noch sauwohl hier", sagt er 45 Jahre später. Was er an seinem Viertel liebt? "Es ist kein steriles Leben. Es werden Straßenfeste gefeiert, Nachbarschaft wird groß geschrieben, und Zugezogene fühlen sich schnell integriert. Man geht auch mal für den anderen Einkaufen", verrät er.
Ein typisches Reihenhaus in der Gartenstadt im Langen Schlag.Mit dem Karlstern, der Freilichtbühne oder dem Jugendhaus Waldpforte mit angrenzendem Abenteuerspielplatz wird Kindern, Jugendlichen wie Erwachsenen ein abwechslungsreiches Freizeitprogramm geboten. Der Bürgerverein veranstaltet Musik- und Kabarettabende. Und immer noch gibt es Siedlervereine sowie die Gartenstadt-Genossenschaft, die sich um das grüne Wohl und kostengünstige Wohnmöglichkeiten im Quartier sorgen.
Eine der Schwachstellen im Viertel der Selbstversorger: ausgerechnet die Nahversorgung. Metzgerei oder Elektroladen sind verschwunden, es gibt noch einen kleinen Supermarkt am Rande des Quartiers, dafür freitags einen beliebten Wochenmarkt. Die Errichtung eines großen Supermarktes aber scheitert bereits an der Charakterfrage: Ein Vollsortimenter auf der grünen Wiese geht mit dem Konzept der Gartenstadt kaum d’accord.
Mit einem Altersdurchschnitt von 46,1 Jahren zählt das Quartier zu den demografisch älteren Vierteln. "Die Gründer sterben aus, Häuser werden verkauft, abgerissen oder modernisiert. Ich befürworte den Wandel, dass sich der Stadtteil verjüngt", betont Meier.
Doch auch an dieser Stelle gibt es Nachholbedarf. Neben der Kita gibt es eine Grundschule, für den Unterricht ab der fünften Klasse müssen sich die Heranwachsenden jedoch an andere Stadtteile orientieren. Sportlich allerdings ist der VfB Gartenstadt für seine Jugendarbeit bekannt. Gleich nebenan befindet sich das Carl-Benz-Bad. "Hoffentlich bleibt es erhalten", so Meier. Seit 2014 gibt es Bestrebungen, stattdessen im nahe gelegenen Benjamin-Franklin-Village ein neues Bad zu errichten.
Das Herzstück der Gartenstadt ist der Freya-Platz im alten Ortskern.Eine Besonderheit: Erst zwischen 2013 und 2016 wurde der Stadtteil an das Straßenbahnnetz angeschlossen. "Dadurch sind wir besser mit der Innenstadt vernetzt, es wurden aber auch neue Probleme geschaffen", zeigt der Apotheker auf. Die bisherige Busverbindung lässt nun viele Teilgebiete des Viertels aus. Auch das Ärztehaus im Sonnenschein ist für viele schwieriger zu erreichen, als zuvor.
Gerade im alten Kern sind die Straßen etwas marode. Versprühen mit den Kleingärten und Holzzäunen im Blick aber auch einen Pippi-Langstrumpf-Charme. Beim seit über 40 Jahre bestehenden Bäcker kauft eine Kundin barfuß ihre Brötchen. Die Katze döst auf der Straße, ein Rabe pickt daneben nach Samenkörnern. Hase und Igel sagen sich hier noch Gute Nacht. "Das liebe ich vielleicht am meisten", sagt Meier.