Las in der Buchhandlung Bender erstmals in Mannheim aus seinem zweiten Buch: Richard Brox. Foto: Goldschmitt
Von Wolf H. Goldschmitt
Mannheim. Lesungen mit dem Bestsellerautor Richard Brox sind mehr als nur ein Hineinhören in seine Bücher. Sie sind eigentlich die pure Konfrontation mit der Gedankenwelt von Deutschlands prominentestem Nichtsesshaften. Auch in der gemütlichen Wohnzimmeratmosphäre der Buchhandlung Bender steht das reine Vorlesen aus seinem neuen Werk "Plädoyer einer Randkultur" eher im Hintergrund. Natürlich hat die Niederschrift einer Begegnung des 55-jährigen Mannheimers mit dem Rockermilieu ihren Reiz.
Das Kennenlernen des Lebens von anderen Außenseitern der Gesellschaft und der Blick hinter die bisweilen kriminellen Kulissen einer Motorradgang bleiben laut Brox aber eine Ausnahme. Künftig will sich der Schriftsteller wieder verstärkt jenem Thema widmen, mit dem er wörtlich genommen aufgewachsen ist: der Obdachlosigkeit und Armut in der reichen Bundesrepublik. "Schuster bleib’ bei deinen Leisten", habe ihm sein Freund, der Journalist Günther Wallraff, geraten.
Der Überraschungserfolg "Kein Dach über dem Leben" hatte sich im vergangenen Jahr so oft verkauft, dass er die oberen Ränge der Sachbuchhitparade erreichte. Die über 270 Seiten lange Abrechnung mit den Behörden seiner "sozial kalten Heimatstadt" geißelt "Rücksichtslosigkeit und Ignoranz" der kommunalen Ämter, die es "auch heute, Jahrzehnte späte in Mannheim noch gibt", erzählt er den rund drei Dutzend Besuchern seiner Lesung. Die Behörden hätten nach dem Tod seiner Eltern die gemeinsame Wohnung frühmorgens geräumt und wertvolle Möbel wie ein Klavier und andere Musikinstrumente faktisch enteignet. "Um meine Mietschulden einzutreiben", sagt er mit sarkastischem Unterton. "Als junger Mann war ich dieser Willkür hilflos ausgesetzt", berichtet Brox.
Das über 40.000 Mal verkaufte Erstlingswerk gilt längst als eine Pflichtlektüre für künftige Streetworker. Danach sei er von Behörde zu Behörde geschoben worden, ohne Aussicht auf Hilfe und gleitet in die Sucht. Anfang der Neunzigerjahre haut er ab aus der Kurpfalz und wird gesichtslos. "Ich bin auf der Straße deutschlandweit umhergezogen, habe mir ein Stück Freiheit zurückgeholt und wurde wieder clean."
Seit den Jahren als "Kurpfälzer Wandersmann" sei er nur wirklich frei, wenn er auf Achse ist. Aber er wisse nun, warum er existiere. Nicht deswegen, weil er heute finanziell besser dastehe als andere Nichtsesshafte. "Sondern, weil seit meinem ersten Buch das ehemalige Tabuthema Obdachlosigkeit in der Gesellschaft offener diskutiert wird", sagt Brox und klingt kämpferisch. Sein Blog für Obdachlose (http://ohnewohnung-wasnun.blogspot.com) werde täglich bis zu 1000 Mal angeklickt.
Im vergangenen Jahr spendete der ehemalige Obdachlose knapp 15.000 Euro an das Wohnheim der Göttinger Heilsarmee - das Geld war durch Spendenaufrufe zusammengekommen. "Ich wohne zwar nicht mehr auf der Straße, aber ich brauche nicht viel", begründet er sein soziales Engagement.
Diese Hingabe hat Richard Brox sichtlich viel Energie gekostet. 74 Lesungen, unzählige Talkshows und fast zwei Dutzend Reden in Wirtschaftskreisen haben ihre Spuren hinterlassen. Der bekennende Einzelgänger hat sich eigenen Worten zufolge "psychisch völlig verausgabt" und will künftig mehr Pausen machen – nicht zuletzt wegen einer nicht ausgeheilten Krankheit. Deswegen denkt er auch über ein strukturierteres Zeitmanagement nach. "Damit ich weiterhin den Ärmsten der Gesellschaft erfolgreich helfen kann, möchte ich die Hilfe einer Agentur in Anspruch nehmen", kündigt er an.