Die roten Backsteingebäude sind typisch für den Stadtteil. Foto: Gerold
Von Marco Partner
Mannheim. Dass zwischen der BBC-Brücke und dem Neckarufer fast 6000 Menschen leben, hat man nicht immer im Sinn. Der Stadtteil Wohlgelegen umfasst den gesamten Neckarstädter Stadtbezirk östlich der B38, und ist von alten Werkswohnungen und klassischer Blockbebauung geprägt. Die Eichbaum-Brauerei und Universitätsklinikum befinden sich im Wohlgelegen – ebenso der Hauptfriedhof. Was trotz unmittelbarer Nähe zu benachbarten Stadtteilen fehlt, ist oftmals die Anbindung. Denn die stark befahrene Bundesstraße erweist sich im Alltag eher als Hindernis.
Rund 20.000 Fahrzeuge nutzen die B 38 am Tag. Gerade auf der Höhe des Stadtteils Wohlgelegen bildet sich am frühen Morgen oftmals ein Stau. Dann schweift der Blick auf kleine türkische Bäckereien oder die imposante Bonifatius-Kirche im Jugendstil. "Die Bundesstraße schneidet den Stadtteil von der restlichen Neckarstadt-Ost regelrecht ab. Es ist eine Insellage", sagt Quartiersmanager Benjamin Klingler vom Caritas-Verband. Auch viele Grundschulkinder müssen in den Morgenstunden die Verkehrsader queren. "Da hält man manchmal den Atem an", betont er.

Vor zehn Jahren eröffnete die Caritas in Kooperation mit der Pfarrgemeinde St. Bonifatius und der Mannheimer Wohnungsbaugesellschaft ein Quartiersbüro im Wohlgelegen. Denn die Insellage des Stadtteils ist nicht nur verkehrlicher Natur. "Außer den Kirchen gab es keine sozialen Träger, kein Gewerbeverein, Künstler oder kreative Selbstständige wie in der Neckarstadt-West. Oder ein starkes Vereinsleben wie in Rheinau", erzählt Klingler. Nun werden Bürgersprechstunden, Stadtteilfeste, Malaktionen für Kinder, 1-Euro-Essen oder ein Einkaufsshuttle angeboten.
Die Arbeitslosigkeit liegt bei 6,8 Prozent, die Migration bei über 60. Warum der Stadtteil aber seine Probleme in der Entwicklung hat, wird erst deutlich, wenn man auf seine Geschichte blickt. Wohlgelegen: Der Name geht auf die hochwassersichere Entfernung zum Neckar zurück. Bereits in den 1820er-Jahren wurde die erste chemische Fabrik errichtet, die flächenmäßige Wohnbebauung erfolgte aber erst knapp 100 Jahre später, mit der Kali-Chemie. "Es war die Gründerzeit der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GBG, als auch die klassischen Werkswohnungen entstanden", so der Quartiersmanager. Davon zeugen heute noch die roten Klinkerstein-Gebäude im Quartier der Weylstraße.
"Damals sind alle Männer morgens zur gleichen Zeit durch den Hauseingang zur selben Arbeit gelaufen. Die Frauen haben sich zum Beispiel im Innenhof zum Wäscheaufhängen getroffen. Es gab ein soziales Leben, einen Zusammenhalt", weiß Klingler. Auch die Bonifatius-Kirche entstand aus Initiative der Bewohnerschaft. Heute dagegen sind die Arbeitswelten verstreut und differenziert. "Nicht jeder wohnt da, wo er arbeitet. Diese Entkopplung von Wohnumfeld und Arbeitswelt war der Anfang vom Abstieg im Wohlgelegen", erklärt er.
Und so ist man versucht, nachhaltig die Strukturen zu verbessern. Die GBG saniert Wohnungen, die immer noch bezahlbar sind, auf Dauer aber zu klein. "Die Wohnungen sind für Paare geeignet, wenn sie eine Familie gründen, wird es eng. Aber viele können sich einen Umzug kaum leisten, für manche gibt es kein Entkommen", berichtet Klingler. Daher gilt es, das Leben auf der "Insel Wohlgelegen", die mit 39,5 Jahren einen sehr geringen Altersschnitt aufweist, aufzuwerten.
Mit Aktionen, bei welchen die Bewohner selbst zur Tat schreiten. Kindern aus der Hausaufgabenhilfe dürfen Fassaden bemalen und etwas Identität stiften, und am Nebeniusplatz gibt es neben Kiosk, Kinderspielplatz und medizinischer Praxis auch ein Bürgercafé. Dort ist auch das Quartiersbüro der Caritas angesiedelt. "Der Platz ist sozusagen der soziale Dreh- und Angelpunkt, wo sich alles über den Weg läuft."
Vor allem für mehr Bildungsgerechtigkeit zu sorgen, ist eins der erklärten Ziele. Deshalb wurde eine Beratung für Eltern mit Kleinkindern eingerichtet. Was fehlt, seien vor allem Freizeitmöglichkeiten für ältere Kinder und Jugendliche. Der Quartiersmanager hat die Hoffnung, dass ein Bolz- oder Basketballplatz auf dem Eisenlohr Platz verwirklichen kann. Mit dem gerade entstehenden Stadtviertel Turley auf der anderen Seite der B 38, könnte dort auch ein struktureller Übergang geschaffen werden. Zudem hat Benjamin Klingler eine mobile Jugendarbeit im Blick.
Das Gewerbe im Stadtteil ist aufgrund des Hauptfriedhofs auf Bestattungsunternehmen, Blumenhändler und Steinmetze fokussiert. Die Versorgungsmöglichkeiten beschränken sich dagegen neben kleinen Bäcker- und Kioskläden auf die grüne Wiese. Mit der Ansiedelung des Einkaufszentrums sind in den vergangenen zehn Jahren auch die letzte Metzgerei und ein kleiner Supermarkt in der Käfertaler Straße verschwunden. Deshalb hat sich das Quartiersbüro für einen Shuttle-Bus starkgemacht, um die tägliche Versorgung für die Bewohner zu gewährleisten. "Inzwischen zieht es aber auch manche Studenten in den Stadtteil", fügt der Quartiersmanager hinzu. Auch, weil am Rand des Viertels der medizinische Technologiepark entstanden ist. "Es gibt s wieder eine Durchmischung, aber da stehen wir am Anfang."