Mannheimer Stadtteile

In Luzenberg ist die Tradition noch allgegenwärtig

Der Luzenberg beherbergte in den 1850er-Jahren eine der ersten deutschen Arbeitersiedlungen. Jetzt wird ein neues Kapitel aufgeschlagen.

04.07.2021 UPDATE: 05.07.2021 06:00 Uhr 2 Minuten, 37 Sekunden
Hier sind die Luzenberg-Schule und der alte Wasserturm zu sehen. Foto: Gerold

Von Marco Partner

Mannheim. Es ist eine der Keimzellen der Industrialisierung auf Mannheimer Boden, ein Stadtteil mit viel Arbeiterhistorie, der langsam aus dem Schatten seiner Vergangenheit treten muss. In den 1850er-Jahren wurde der Luzenberg als eine der ersten deutschen Arbeitersiedlungen aus der Taufe gehoben. Unmittelbar an die Spiegelfabrik angrenzend, lebten vor allem französische Gastarbeiter in den mietfreien Werkswohnungen. Heute, 170 Jahre später, ist nur noch einer der schlauchartigen Wohnblöcke erhalten, die Produktion von Gläsern und Co. komplett eingestellt. Die Tradition aber wirkt in dem Waldhöfer Stadtteil immer noch lebendig und allgegenwärtig, allmählich breiten sich aber auch neue Impulse am einstigen Fabrikstandort aus.

Im Bereich der Diffenébrücke entstehen am Rhein moderne Wohnungen. Foto: Gerold

Mit der Spiegelmanufaktur von Saint Gobain fing alles an. Fast 650 Arbeitnehmer lebten in den 19 Wohnblöcken, die auch als Spiegelkolonie bekannt sind. "Wenn die Glasschmelzwannen bereit waren, ertönte ein Signal, und die Arbeiter mussten sofort anrücken", erklärt Stadtteil-Chronist Klaus Schillinger die gelebte Nähe zwischen Arbeit- und Wohnstätte. Auch eine achtköpfige Tagelöhner-Familie aus dem Kraichgau wohnte in ärmlichen Verhältnissen in der Rue de France 171, direkt am Eingang zum großen Fabrikgelände. Heute erinnert eine Urkunde an die Geburtsstätte des in vielen Augen wohl berühmtesten und erfolgreichsten Sohn Mannheims: Seppl Herberger, der Deutschland 1954 als Bundestrainer zum Fußball-WM-Titel führte, erblickte 1897 auf dem Luzenberg das Licht der Welt.

Damals galt die Wohnstruktur mit Schule und Läden in unmittelbarer Nachbarschaft zur Fabrik als fortschrittlich. Mit den Drais- und Benz-Werken oder der Zellstofffabrik breiteten sich immer weitere Zweige in der Mannheimer Wiege der Industrie aus, und das Dorf Waldhof mutierte zum Arbeiter-Stadtteil. Heute jedoch sind im Luzenberg die meisten Geschäfte und Arbeiterlokale verschwunden. Eine Apotheke, eine Metzgerei, ein Gemüseladen und wenige Gaststätten sind geblieben. Allen voran das "Spiegelschlössl", die Waldhof-Kneipe schlechthin, in der man in guten wie schlechten Tagen den blau-schwarzen Kickern die Daumen drückt.

Winni Kölmel lebt seit fast 30 Jahren auf dem Luzenberg, er ist überzeugt davon, dass hier im Viertel noch viel Potenzial schlummert. Foto: Gerold

Schlendert man so durch den Ortsteil, sieht man geschichtsträchtigen Sandstein- und Klinkerbau, allen voran die kolossal wirkende Luzenberg-Schule in einem ehemaligen Wasserturm sticht hervor. Zudem gibt es mit der Kreuzerhöhung die größte griechisch-orthodoxe Kirche der Region. Auf der anderen Seite stechen aber auch viele brüchige Fassaden, Leerstand, heruntergezogene Rollläden und Sperrmüll auf dem Bürgersteig ins Auge. "Der Müll ist hier ein ständiges Problem", sagt Winni Kölmel, der seit fast 30 Jahren auf dem Luzenberg wohnt. Der Bewohner schätzt vor allem den Spiegelpark, mit industrieromantischen Graffiti-Mauern und viel Grün.

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Und nicht nur er weiß, dass noch viel Potenzial im Viertel schlummert. "Es ist ein oft vergessener, vom Altersdurchschnitt her aber sehr junger und lebendiger Stadtteil. Die Leute sind an Projekten durchaus interessiert und engagiert", betont er. Bestes Beispiel: er selbst. Fast zwei Dekaden hat Kölmel einfach nur im Quartier gewohnt, aber nicht wirklich bewusst darin gelebt. Erst seit ein paar Jahren beschäftigt er sich näher mit dem Stadtteil und ist Mitglied des 2019 gegründeten Spiegelvereins. Den Jugendlichen mehr Freizeitmöglichkeiten bieten, die Bewohner für Projekte begeistern und sich politisches Gehör verschaffen, hat man sich zur Aufgabe gemacht. "Wir wollen die Wohn- und Lebensverhältnisse im Viertel aufwerten und die Kommunikation fördern", betont Erster Vorsitzender Stefan Möhrke.

Wie sich das Arbeiterviertel wandelt, sieht man bereits am Altrhein. Unweit der Diffenébrücke entstehen insgesamt knapp 90 schicke und hochmoderne Eigentumswohnungen. Mit Blick auf die Industrie der Friesenheimer Insel, aber auch auf überraschend viel Natur. "Zu Beginn wurde das Wohnprojekt ‚Joy am Ufer‘ noch etwas kritisch beäugt und als etwas Fremdes betrachtet. Aber es ist ein Impuls und eine Chance für den Stadtteil", betont Möhrke.

Ein Stadtteil, der sich nicht länger auf seiner Spiegelfabrik-Geschichte ausruhen kann, sondern ein neues Kapitel aufschlagen muss. Im Juni 2020 gingen im Glaswerk schließlich endgültig die Lichter aus. "Das war ein harter Schlag, auch wenn es zu erwarten war. Die Arbeiter kamen aus dem Lockdown und erfuhren vom endgültigen Ende", verrät Schillinger. Die Eingangspforte, nur 100 Metern von Sepp Herbergers Wohnhaus entfernt, wird nur noch von einer Fremdfirma bewacht. Was einmal daraus wird? Neben einem Gewerbegebiet solle auch viel Renaturierung sowie Wohnraum geschaffen werden. Als Spiegelverein möchte man sich für mehr Bürgerbeteiligung starkmachen, um bei der großen Stadtteil-Weichenstellung Richtung Zukunft ein Wörtchen mitzureden.

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