Auch der Marktplatz war Teil der Route, die vom Alten Messplatz mit einigen Schlenkern zu den Planken führte. Foto: Partner
Von Marco Partner
Mannheim. Haben Sie gewusst, dass am Standort des heutigen Nationaltheaters einmal Tennis gespielt wurde? Oder dass im Herschelbad einst Hunde als planschende Badegäste erwünscht waren? Nein?! Dank der App "Mannheim Erleben" kann man durch die bewegte Geschichte der Quadratestadt streifen. Zu Fuß die Vergangenheit bekannter und vergessener Bauwerke erkunden, oder auch virtuell, von zu Hause aus, historische Punkte aus vier Jahrhunderten entdecken und sich dank Audioguide wie bei einer echten Städtetour mit lebendiger Geschichte berieseln lassen. Die RNZ hat es ausprobiert.
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Eigentlich ist die vom Startup-Unternehmen "vmapit" in Kooperation mit dem Marchivum, dem Stadtmarketing und dem Seckenheimer Verlag "Schmid Otreba Seitz Medien" entworfene Smartphone-Software schon ein paar Jährchen alt. "Sie wurde als Ergänzung zu den Sandsteinstelen und Glastafeln entworfen, die man von Gebäuden kennt. Dank der App können wir den Bürgern die unheimlich große Menge an Wissen und Informationen des Stadtarchivs zur Verfügung stellen", erzählt App-Entwickler Stefan Stadler von "vmapit". Aufgrund des Lockdowns trat die bisher eher an Touristen empfohlene App wieder ins Bewusstsein, schließlich kann sie auch von Einheimischen genutzt werden, und ein wenig Ablenkung in den kulturarmen Corona-Alltag bringen.
Öffnet man die digitale Karte, wird man von unzähligen Zielen überrascht. Von Sandhofen bis Friedrichsfeld poppen über 100 Stadtpunkte auf, die meisten natürlich in der Innenstadt. "Man muss ein wenig kreativ sein, es ist Eigenregie gefragt", sagt Mitentwickler Stefan Seit von SOS-Medien. Vorgegebene Routen gibt es nicht, doch das Manko kann auch Vorteil sein, schließlich lässt sich so ganz individuell ein eigener Spaziergang gestalten, thematisch dank historischer Kategorien wie "Residenz", "Migration" oder "Arbeiterbewegung" – oder einfach nach dem Zufallsprinzip.
Ich wähle den alten Messplatz als Einstieg und bastele mir im Vorfeld meinen eigenen Streifzug durch die Quadrate zusammen. Dann Stöpsel ins Ohr, Smartphone in die Hand. Los geht’s! Schon beim Gang über die Kurpfalzbrücke werde ich von der Stimme im Ohr überrascht. Sie erzählt mir, dass an gleicher Stelle ab 1845 eine Kettenbrücke den Neckar überspannte, die später durch die imposante Friedrichsbrücke ersetzt, jedoch aufgrund der anrückenden US-Army 1945 von der Wehrmacht gesprengt wurde. Dass der Neckar gerade am Überquellen ist, entgeht mir dabei völlig, so tief bin ich schon in die Geschichte abgetaucht.
Zur geistigen Erfrischung geht’s weiter zum Herschelbad, und die Lust auf Schwimmen und Sauna wird zumindest durch den Anblick der neobarocken Außenfassade mit Poseidon und Co. gestillt. Gleich eine Ecke weiter versteckt sich im T 2 der nächste historische Punkt. Am Haus des einstigen Stadtdirektors Henri Clignet (1607-1683) erfährt man, dass Mannheim schon damals kultureller Schmelztiegel und Heimstatt für wallonische, hugenottische, jüdische, polnische oder ungarische Familien war. Der nächste Stopp ist das persönliche Highlight: die alte Werkstatt von Carl Benz in T 6, wo 1885 die Geburtsstunde des Automobils schlug. Heute ist es ein unauffälliges Wohnhaus, nur eine schwarze Metallsilhouette am Eingangstor erinnert an die "bewegende" Erfindung an dieser Stelle. Doch in jeder Ecke warten neue Überraschungen aus längst vergangenen Zeiten: Wie die Geschichte vom Lawn-Tennis-Club, der auf dem heutigen Goetheplatz am Nationaltheater um die Jahrhundertwende wohlhabende Familien zum "Weißen Sport" in die gerade entstehende Oststadt lockte.
Je stärker ich mich den Planken nähert, desto eher fühle ich mich plötzlich wie ein Tourist in der vertrauten Stadt. Mit der Stimme im Ohr und den historischen Bildern auf dem Smartphone wird Geschichte vor dem geistigen Auge sichtbar, wandelt man mit einem anderen Blick durch die bekannten Quadrate, fern der Schaufenster. "Man sieht, moderne Medien sind auch konstruktiv nutzbar. Sie können ein interaktiver Weg zur Wissensvermittlung sein", findet Stadler.
So kann die App dazu animieren, in Zeiten des Lockdowns von der Couch aufzustehen, um frische Luft und Stadtgeschichte zu schnuppern. Genauso kann man sich bei einem verregneten Tag aber auch von zu Hause aus auf digitale Zeitreise begeben. Als Konkurrenz zu echten Stadtführungen bewerten die Entwickler die Software jedenfalls nicht. "Sie ist eher Anreiz, irgendwann mal wieder an einer geführten Tour teilzunehmen. Den Wert des Menschen kann keine App ersetzen", so Stadler.
Info: "Mannheim Erleben" ist für Apple- und Android-Geräte kostenlos erhältlich. Da man von der App nicht automatisch von A nach B geleitet wird, empfiehlt es sich, parallel eine weitere GPS-App zu nutzen, um sich von einem historischen Punkt zum nächsten navigieren zu lassen.