Wehmütiger Abschied: Am 30. April sagten die Mannheimer Adler und die Fans der Kufencracks dem Friedrichspark Adieu. Seither werden die Heimspiele des Clubs in der SAP Arena ausgetragen. Archivfoto: Alfred Gerold
Von 1939 bis ins Frühjahr 2005 war der Mannheimer Friedrichspark der Sehnsuchtsort für die Eishockeyfans aus der Kurpfalz. Unser Autor Volker Endres (47) hat knapp 26 Jahre davon miterlebt. In seinem Artikel blickt er auf die alten Zeiten in dem Eishockeytempel und legendäre Spiele des MERC zurück.
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Mannheim. Ich habe dort Siege gefeiert, nach Niederlagen und verlorenen Meisterschaften getrauert, habe gegnerische Spieler beschimpft und die eigenen Kufencracks angefeuert. Der Friedrichspark war Heimat für Konzerte, Basketball und später auch Arbeitsplatz. Freundschaften sind hier entstanden und auch zerbrochen, Tränen geflossen - kurz gesagt: Das Alte Eisstadion war ein wichtiger Teil meines Lebens. Ja, ich habe beim Abschiedsspiel im April 2005 geweint. Und ich war nicht der Einzige.
Das genaue Datum weiß ich nicht mehr, es war auf alle Fälle im Dezember 1979, als ich im zarten Alter von neun Jahren das erste Mal mit in den Eishockeytempel durfte. Den Gegner weiß ich selbstverständlich noch: Altmeister VfL Bad Nauheim. Ich saß mit meinem Vater auf der Sitzplatzgeraden. Weniger als das 8:5 gegen die Hessen haben mich aber die Fans beeindruckt. Diese Intensität, diese urwüchsige Gewalt - noch Tage später hatte ich das "HEJA, HEJA MERC!" im Ohr, war mit meinen Schilderungen König auf dem Schulhof im wohlbehüteten Neckarau. Bis zu meinem nächsten Besuch sollte es ein paar Monate dauern. Wieder Sitzplatz. Dieses Mal begleitete mich mein Onkel Gustav. Schließlich war auch so ein Zehnjähriger noch ein Spielball für die wüsten Gestalten, die damals mit Schals und unvermeidlicher Jeanskutte wild kostümiert und unmissverständlich klarstellten: "HIER REGIERT DER MERC!"
Wer bei meiner zweiten Stippvisite der Gegner war, vermag ich schon nicht mehr genau zu sagen. Klar war aber, dass sich meine Besuche häufen sollten. Ja, mussten. Das Eishockeyfieber hatte mich gepackt. Ich wollte auf den Stehplatz - dazugehören. Und ich bekam meinen Willen, zumindest nach und nach.
Ein Großonkel, damals ausgestattet mit den noch erlaubten Leitern für Frau und Kinder, hatte mich für Freitags- und auch einige Sonntagspiele "adoptiert". Ich wechselte die Perspektive, durfte auf den Stehplatz. Allerdings noch längst nicht in die Kurve, wo der Fanclub "Bully Tor" oder auch die "Neckarstädter Jungs" und einige andere den Ton angaben. "Wir stellen uns hinter die gegnerischen Fans. Dort ist es ruhiger", erklärte Thomas. Was er nicht sagte, war: "Wir stehen schon immer da", lautete der Tenor im gesamten Stehplatzbereich, was "Neulingen" den Einstieg nicht unbedingt erleichterte.
Immerhin: "Da drüben ist frei", gab es manchmal auch zu hören oder, meist von weiblichen Fans, die mütterliche Variante: "Bleib halt do. Will‘sch was dringe? Isch hab Tee dabei." So schaffte ich es für zwei oder drei Spielzeiten auf den Stehplatzbereich hinter das Tor. Die nette Dame mit dem Tee war im Übrigen meine Großcousine. Weiteren Spielzeiten hinter dem Tor stand meine eigene Sportkarriere im Weg. Als fleißig trainierender Fußballer kam ich freitags nach dem Training oft erst kurz vor Spielbeginn, fehlte sonntags häufiger. Auf dem Stammplatz-Stehplatz nicht gerne gesehen. Des Rätsels Lösung war meine erste eigene Leiter. Von der ersten wechselte ich damit in die letzte Reihe. Wenigstens blieb ich der Perspektive hinter dem Tor treu. Von meinem 15. Lebensjahr bis zum Ende 2005. Nur die Leitern wurden irgendwann verboten. Ich habe sie durch einen übergroßen Styroporblock ersetzt.
Das Umfeld veränderte sich seither kaum noch. "Wir stehen schon immer da", konnte ich mittlerweile selbst mit Fug und Recht behaupten. Es waren Mitschüler, die in wechselnder Besetzung den Klüngel hinter dem Tor bildeten. Dauerkarten hatten Michael, Sven, Stefan und ich, die übrigen wechselten. Gemeinsam durchlebten wir die "Dürrejahre" nach der Meisterschaft 1980, in denen der MERC zwar hin und wieder bis ins Finale vordrang, den ganz großen Wurf aber verfehlte. Wir bekamen die Umbenennung in "Adler Mannheim" hautnah mit und freuten uns über vier Meisterschaften zwischen 1997 und 2001.
Aber die Höhepunkte waren nicht allein sportlicher Natur. Ein 1:0-Sieg gegen die bis dahin als unschlagbar geltenden Kölner Haie war 1988 dabei, bei dem das durchaus Schallwellen gewohnte Dach des Friedrichsparks zumindest gefühlt ein kleines bisschen abhob. In der Lautstärke lediglich getoppt vom Meisterjubel des Jahres 1997, in dem auch die Siege gegen Köln und Frankfurt einen Ehrenplatz erhielten. Und auch aus eigentlichen Geplänkeln ergaben sich durch das Eigenleben der Fanszene hin und wieder unvergessliche Momente. Das Wechselspiel von Vincent Riendeau, Torhüter des SC Riessersee, mit den Mannheimer Fans sei dafür nur als Beispiel genannt. In der Play-off-Serie wurde die zusammengekaufte Truppe aus München, gesanglich ganz unversehens um ein Komikerduo ("Hegen, Trunschka - Dick und Doof") erweitert, wurden "mit Messern und mit Ketten" die Kölner Haie zu Fischkroketten verarbeitet. Wunderkerzen galten da noch als Stimmungsmacher und nicht als mögliche Brandherde.
Vergessen sind mittlerweile die vielen tristen Partien taktischen Puckgeschiebes, die Stunden mit eiskalten Füßen oder auch die 17 Jahre lang chronische Erfolglosigkeit. Ach Friedrichspark, ich vermisse Dich!