Versteckt am Kaiser-Wilhelm-Becken steht die Vermessungspyramide. Fotos: Gerold
Von Olivia Kaiser
Mannheim. Ob Che Guevara ein leidenschaftlicher Seefahrer war, ist nicht eindeutig überliefert. Aber ein Schiff spielte eine schicksalsträchtige Rolle im Leben des Revolutionsführers. Denn es war die Yacht "Granma", mit der er und die Gebrüder Castro 1956 von Mexiko nach Kuba übersetzten. Dabei geriet die "Granma" in so manchen Sturm, alle an Bord sollen seekrank gewesen sein. Auf Kuba kennt diese Geschichte jedes Kind. Wer im Mannheimer Hafen unterwegs ist, wird wohl kaum seekrank, aber bekommt Che Guevara zu sehen - wenn auch nur als Graffiti. Die Pyramide, die am Rand des Kaiser-Wilhelm-Beckens steht, kennen nur wenige Mannheimer - ebenso das kleine Hafenbecken selbst, das vom Industriehafen abzweigt. Die Pyramide ist das Überbleibsel einer Zeit, in der noch nicht jedes Fitzelchen auf dem Globus haargenau vermessen war und Landesfürsten sich die Welt gern so machten, wie es ihnen gefiel - mit eigenem Null-Meridian.
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In der Regattastraße beginnt die Reise. Dort liegt die "Rheinau", ein Arbeitsboot der Mannheimer Hafengesellschaft. An Bord wartet schon Hafenmeisterin Regina Güntert mit ihrem Labradormischling Suki. Schiffsführer Adrian Siebert schmeißt den Motor an, und langsam tuckert die "Rheinau" in Richtung Mühlauhafen. Rechter Hand stapeln sich die Container. "Der Mühlauhafen ist der älteste Mannheimer Hafen", erklärt Regina Güntert. Noch genauer weiß es der wissenschaftliche Stadthistoriker Hanspeter Rings: "Er wurde 1875 als Handelshafen eröffnet. Damals wurde hauptsächlich Kohle und Weizen umgeschlagen, heute ist es der Containerhafen."
"Mannheims geheimnisvolle Orte" - Pyramide Kaiser-Wilhelm-Becken
Der Mühlauhafen mündet in den Rhein, beziehungsweise in den Friesenheimer Durchstich, wie Rings erklärt. Der Historiker ist seit Kurzem im Ruhestand und hat sich während seiner Zeit beim Mannheimer Stadtarchiv besonders mit der Historie des Mannheimer Hafens beschäftigt. Gerade erst wurde sein Buch "Mannheim auf Kurs" neu aufgelegt. "Der Durchstich hat den Rhein begradigt. So entstand die Friesenheimer Insel, und der Altrhein wurde frei für den Hafen", erzählt Rings. Der neue Rheinverlauf wurde 1862 eröffnet.
Linksrheinisch hat man einen guten Blick auf die monumentalen Anlagen der BASF. Auf Mannheimer Seite kommt die Neckarspitze in Sicht. Öltanks und Fasspyramiden ersetzen jetzt die Container.
Apropos Pyramide: Der Null-Meridian verläuft bekanntermaßen durch den Londoner Stadtteil Greenwich und nicht durch die Mannheimer Neckarstadt. Wie kommt es also, dass eben dort ein Vermessungspunkt für einen Null-Meridian steht? "Das haben wir Kurfürst Carl Theodor zu verdanken", weiß Hanspeter Rings. Der Kurfürst war nicht nur ein Freund der schönen Künste, sondern auch der Wissenschaft. 1775 ließ er eine Sternwarte errichten, um den Himmel und die Erde vermessen zu lassen.
Die damaligen Längengrade stimmten allerdings nicht mit den heutigen überein. "Der Äquator als feste Größe legte die Breitengrade fest, doch den ersten Längengrad konnte man überall verlaufen lassen, sei es durch London, Paris oder Mannheim", verdeutlicht der Historiker. Und genau das taten die gekrönten Häupter Europas. In der Epoche der deutschen Kleinstaaten habe fast jedes Land seinen eigenen Null-Meridian gehabt, so Rings - auch die Kurpfalz. Die Pyramide im Kaiser-Wilhelm-Becken, auch Mire genannt, ist ein Vermessungszeichen aus dem 19. Jahrhundert.
Durch die Kammerschleuse geht es weiter in den Industriehafen, der 1907 zum 300. Stadtjubiläum eröffnet wurde. Dort befinden sich einige der imposantesten Industriedenkmäler der Stadt, zum Beispiel der Rhenania-Speicher und die Pfälzische Mühle. Letztere ist ein schöner Backsteinbau mit Merkmalen des Jugendstils und des Neoklassizismus.
Das Kaiser-Wilhelm-Becken geht vom Industriehafen ab und grenzt landseitig an die Neckarstadt. "Es ist ein eigenes Hafenbecken, gehört aber statistisch zum Becken Nummer 4 des Industriehafens", erklärt Hafenmeisterin Regina Güntert. Hauptumschlagmaterial ist Schrott. Meterhoch türmen sich die Autowracks am Ufer. Im Hintergrund ist das Dach der Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge zu sehen, die sich in der Pyramidenstraße befindet. Jetzt ist auch klar, woher die Straße ihren Namen hat.
Und dann kommt sie plötzlich in Sicht: Die etwa fünf Meter hohe Pyramide mit Kugelspitze ist leicht zu übersehen, hebt sie sich doch kaum von der sich dahinter befindlichen Lagerhalle ab. Doch zur Wasserseite prangt darauf der Kopf von Che Guevara auf rotem Grund. Das ist auch für Hanspeter Rings eine Überraschung. "Das war bei meinem letzten Besuch noch nicht da", sagt er und muss herzhaft lachen.
Info: Weitere Teile der Serie gibt es unter www.rnz.de/geheimnisvolle-orte