Grimme-Preisträger Constantin Schreiber, ZDF-Journalistin Dunja Hayali und Oberbürgermeister Peter Kurz (v.l.) hoffen, dass die Menschenrechtsaktivistin Loujain al-Hathloul bald nach Mannheim kommen kann, um ihre Urkunde abzuholen. Foto: Stadt Mannheim/Henn
Von Heike Warlich-Zink
Eine Seite im Goldenen Buch der Stadt wird seit Sonntag freigehalten für Loujain al-Hathloul – bis es ihr möglich ist, persönlich nach Mannheim zu kommen. Die diesjährige Trägerin des Bertha-und-Carl-Benz-Preises kam 2018 in ihrem Heimatland Saudi-Arabien in Haft, weil sie sich dafür einsetzte, dass Frauen Autofahren dürfen.
Dabei ging es jedoch um weitaus mehr als nur den Wunsch, am Steuer sitzen zu dürfen: um Gleichberechtigung und gesellschaftliche Teilhabe. "Loujain al-Hathloul hat ihre Grundrechte und die Achtung der Menschenwürde sichtbar eingefordert", sagte Oberbürgermeister Peter Kurz bei der Preisverleihung vor geladenen Gästen im Rosengarten. Unter ihnen war auch Jutta Benz, die Urenkelin von Bertha und Carl Benz. Aus Brüssel live zugeschaltet war Lina al-Hathloul, die Schwester der Preisträgerin.
Eine saudische Frau zeigt ihren neuen Führerschein. Seit Juni 2018 dürfen Frauen in Saudi-Arabien Autofahren. Symbolfoto: Gehad Hamdy/dpaKurz hob hervor, dass es sich bei der 2011 von der Stadt Mannheim anlässlich des 125-jährigen Automobiljubiläums gestifteten Auszeichnung keineswegs um einen reinen Automobilpreis handelt. "Wir wollen nicht nur technische Neuerungen, sondern gesellschaftliche Leistung würdigen", erklärte er.
Schließlich habe Bertha Benz erst durch ihren Mut aus der Erfindung ihres Mannes eine Innovation gemacht, indem sie auf ihrer für damalige Verhältnisse riskanten Reise die Praxistauglichkeit des Benz-Patentmotorwagens Nummer 1 bewies und damit zur ersten Autofahrerin der Welt wurde.
Bei aller Unterschiedlichkeit sei der Bezug von Loujain al-Hathloul und Bertha Benz doch mit Händen zu greifen. "Die soziale Dimension der Mobilität und ihre gesellschaftliche Bedeutung ist beiden bewusst. Sie haben Konventionen durchbrochen", meinte Kurz. Und in beiden Fällen wurde das Automobil zum Zeichen der Autonomie.
"Aufrührerisches Verhalten" gegen Kronprinz Mohammed bin Salman: Mit dieser Begründung war Loujain al-Hathloul zusammen mit weiteren Aktivistinnen im Mai 2018 festgenommen worden. Zehn Monate danach habe es immer noch keine offizielle Anklage gegen ihre Schwester gegeben, berichtete Lina al-Hathloul. "Sie wollen, dass die Frauen vergessen werden", sagte sie. Die beste Art, ihrer Schwester und den anderen inhaftierten Menschenrechtsaktivistinnen zu helfen, sei an sie zu denken und sie öffentlich zu unterstützen. "Stille hilft nicht. Daher bedanken wir uns sehr für diesen Preis", sagte die Schwester.
Aktuell habe die Regierung erneut jeglichen Kontakt der Familie zu Loujain verboten. "Wir bitten die Weltgemeinschaft, über sie zu sprechen", appellierte Lina al-Hathloul. Auch die Preisverleihung sei verbunden mit der nachdrücklichen Aufforderung, insbesondere an die deutsche Bundesregierung und den Hohen Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik, sich für eine Verbesserung ihrer Haftbedingungen, die unverzügliche Fortsetzung des Verfahrens unter rechtsstaatlichen Mindestanforderungen sowie ihren Freispruch einzusetzen, machte OB Kurz deutlich.
"Die Stärke dieser Frau zeigt die Schwäche ihres Landes, beziehungsweise der Regierung ", sagte die Laudatorin und ZDF-Journalistin Dunja Hayali. "Ich jedenfalls verneige mich vor dem Mut von Loujain al-Hathloul", sagte sie – vor einer Frau, "die niemandem etwas antat, sondern die lediglich ein freies Leben führen möchte".
Dafür sei sie mit weiteren Frauen von denjenigen, die Veränderung fürchteten, als Verräterin diskriminiert worden mit dem Ziel, deren friedlichen Aktivismus zu unterdrücken, mit dem sie Menschenrechtsverletzungen öffentlich angeprangert hätten. "Ich hoffe, dass dieser Preis Loujain Licht bringt sowie Freiheit und Gerechtigkeit", sagte Hayali.
Die Unterstützung für die junge Menschenrechtsaktivistin müsse auch auf politischer Ebene geschehen. Wie sich die Weltgemeinschaft und einzelne Staaten gegenüber totalitären Systemen verhalten sollten, darüber wurde anschließend in einer von Grimme-Preisträger Constantin Schreiber geleiteten Gesprächsrunde diskutiert.
Info: Die Stadt Mannheim hat 2011 den Bertha-und-Carl-Benz-Preis anlässlich des 125-jährigen Automobiljubiläums gestiftet. Die Auszeichnung ist mit 10.000 Euro dotiert. Sie wird auf Vorschlag eines Preisgerichts durch den Gemeinderat zuerkannt und alle zwei Jahre verliehen.
Update: Montag, 21. September 2020, 19.30 Uhr
Mannheim/Riad. (dpa/lsw) Die in Saudi-Arabien inhaftierte Frauenrechtsaktivistin Ludschain al-Hathlul ist mit dem Bertha-und-Carl-Benz-Preis der Stadt Mannheim ausgezeichnet worden. Das bestätigte ein Stadtsprecher am Sonntag. "Ludschain Al-Hathlul hat maßgeblich dazu beigetragen, dass saudische Frauen seit Juni 2018 einen Führerschein beantragen und Autofahren dürfen", hieß es in der Erklärung der Jury. Das habe Frauen zahlreiche neue Perspektiven eröffnet.
Al-Hathlul hatte sich in der Vergangenheit für das Ende des Frauenfahrverbots in dem islamisch-konservativen Königreich eingesetzt und sich trotz geltender Verbote hinters Steuer gesetzt. Saudische Sicherheitskräfte hatten die Aktivistin im Mai 2018 festgenommen. Die genauen Vorwürfe gegen sie sind unklar.
"Sie hat sich in außergewöhnlicher Weise für Werte eingesetzt, die für die Stadt Mannheim in ihrem Selbstverständnis als weltoffene Stadt, in der alle unabhängig von Herkunft, Religion und Geschlecht am gesellschaftlichen Leben teilhaben sollen, von besonderer Bedeutung sind", sagte Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) im Vorfeld der Auszeichnung.
Kurz übergab den Preis am Sonntag an Ludschain Al-Hathluls Schwester, die aus Brüssel zugeschaltet wurde. Die Laudatio hielt die Fernsehjournalistin Dunja Hayali.
Der Bertha-und-Carl-Benz-Preis wird alle zwei Jahre verliehen und soll an die Leistung des Ehepaars Benz erinnern. Er ist mit 10.000 Euro dotiert. Bertha Benz gilt als Automobil-Pionierin: Im August 1888 unternahm sie die erste Fernfahrt mit dem damals neuen Fortbewegungsmittel. Ganze zwölf Stunden brauchte sie für die 106 Kilometer lange Strecke von Mannheim nach Pforzheim. Damit verhalf sie nicht nur ihrem Mann Carl Benz zum Durchbruch, sondern auch dem Automobil.