Britta Schlichting erklärt das Konzept von "13 ha Freiheit". Foto: Gerold
Von Alexander Albrecht
Mannheim. Man stelle sich vor: Menschen unterschiedlichen Alters und aus sämtlichen Schichten, Kreativunternehmen, sanierte Sandsteinbauten neben moderner Wohnarchitektur, eine Trattoria, eine Ballettschule, ein Gemeinschaftszentrum mit angeschlossener Kaffeerösterei, Ausstellungsräume und eine quicklebendige Kulturszene - und das alles auf einem knapp 13 Hektar großen Gelände. Ein Richtfest jagt das nächste. Das ist keine Vision (mehr), das ist Turley.
Ein buntes Wohlfühlviertel hatte Kaiser Wilhelm nicht im Sinn, als er Ende des 19. Jahrhunderts die Kaserne in der Mannheimer Neckarstadt errichten ließ, und auch die nach dem Zweiten Weltkrieg dort stationierten US-Streitkräfte setzten eher auf Abschottung. Heute herrscht auf Turley - direkt an der B 38 gelegen und nahe des Herzogenriedparks - ein ganz anderes Klima, ein weltoffenes und urbanes. Statt Uniformen sind auf den Fluren des Gebäudes 472 Kinderschuhe zu sehen, statt Einsatzplänen hängen politische Botschaften wie "Kein Rassismus!" an den Wänden.
Im Juli 2014 hat das gemeinschaftsorientierte Projekt "13 ha Freiheit" das Haus gekauft. Seit letztem Jahr wohnen 60 Menschen auf 2600 Quadratmetern unter eigener Verwaltung zu sozialen Mietpreisen darin. "13 ha Freiheit" gehört - wie zwei weitere "Kommunen"-Projekte auf dem Turley-Gelände - dem Mietshäusersyndikat an. Bei diesem Modell werden Direktkredite von Freunden und Unterstützern sowie aus den eigenen Reihen als Darlehen in die Finanzierung eingebracht. Gleichzeitig sorgt das Syndikat dafür, dass kein zusätzlicher Gewinn erwirtschaftet werden muss.
"So richtig fertig wird es hier wohl nicht so schnell werden", sagt Britta Schlichting, die Sprecherin von "13 ha Freiheit". Alle wichtigen Entscheidungen im Haus sollen grundsätzlich im Konsens entschieden werden. Stolz ist Schlichting darauf, dass es tatsächlich gelungen ist, Bewohner aus sämtlichen gesellschaftlichen Milieus zu gewinnen - Familien mit Kindern, Berufstätige, Erwerbslose, Behinderte, Rentner. Die kleinste der 29 Wohnungen misst 45 Quadratmeter, die größte knapp 200.
Vor dem mächtigen Gebäude grünt der frühere Appellplatz, unter dem eine Tiefgarage gebaut wird. Denn das Viertel soll möglichst autofrei bleiben. Zum großen Anlaufpunkt soll das Kasino werden. Nach den Plänen des niederländischen Stararchitekten Winy Maas entsteht ein Gemeinschaftszentrum, in das Helder & Leeuwen mit einem Caféhaus (Kaffeerösterei und Ladengeschäft) einzieht. Daneben sind Seminarräume geplant.
Die Johannes Diakonie bietet Tageswerkstätten an und stellt zudem an anderer Stelle 24 Menschen mit Behinderung ein neues Zuhause zur Verfügung. Die Theodor-Fliedner-Stiftung baut eine betreute Wohnanlage für Senioren, die im Juni fertiggestellt sein soll. Das Haus Wooster ist ein Hotel der besonderen Art mit 50 Betten und einer Gemeinschaftsküche. Jeder Raum wird anders gestaltet sein, die ersten Gäste kommen an Ostern.
Größter Investor im Viertel ist die Tom Bock Group. Sie kaufte im Oktober 2012 neben den freien Baufeldern elf der 15 Originalsandsteingebäude rund um den ehemaligen Exerzierplatz. Mit ihrem Projekt SoHo Turley entsteht eine vielfältige Mischung aus Alt- und Neubauten inklusive Turm-Appartements, Stadthäusern und Penthouse-Maisonetten.
Die Mannheimer Wohnwerte schaffen mit ihrem Projekt "Homerun" ein Wohnviertel, das den Interessen ganz unterschiedlicher Menschen gerecht wird. In vier Bauabschnitten entstehen rund 200 Wohneinheiten mit Flächen zwischen 30 und 175 Quadratmetern. Die ersten davon sollen im Frühjahr an die Eigentümer übergeben werden.
Zwei Unternehmen der Gesundheitswirtschaft - VRmagic sowie die Heidelberger Orthopädie- und Rehatechnik-Firma adViva - haben sich ebenfalls auf dem Turley-Gelände angesiedelt. Die Heidelberger Kunsthistorikerin Nadine Pauly hat einen Ausstellungsraum für Vintage-Möbel eröffnet, in einer Agentur können Musiker für Events gebucht werden. Auch einige Kreativfirmen sind am Start, ein Zahnarzt nimmt demnächst seine Arbeit auf. Weitere großräumige Flächen für Büros, Geschäfte, Freizeit und Fitness folgen.
Schon jetzt ein Erfolgsmodell ist eine internationale Kindertagesstätte, die im Frühjahr um zwei weitere Gruppen erweitert wird. Und in einer Ballett- und Tanzschule können Kinder und Erwachsene unter Anleitung von studierten Tanzpädagogen in zwei Sälen ihre Begeisterung ausleben.
In der Gastronomie kommt Tom Bocks Liebe zu Italien zum Tragen. In Laguardia, der ehemaligen Reithalle, entsteht ein gehobenes Ristorante. Im sogenannten Centre wird eine Trattoria Gäste und Bewohner zum Mittagstisch an einer großen Tafel einladen, abends verwandelt sie sich in eine Pizzeria.