Von Micha Hörnle
Heidelberg. Es hat manchmal den Anschein, als hätten die Heidelberger die Schuldigen für die Wildschweinplage gefunden: Es sind die Jäger, die – warum auch immer – nicht genug Sauen erlegen. Denn da die Tiere keine natürlichen Feinde haben, können eigentlich nur die Jäger deren Bestände regulieren. Aber, so sagt Volker Rutkowski, der Pressesprecher der Heidelberger Jägervereinigung, als er zusammen mit Kreisjägermeister Heinz Kaltschmidt die RNZ trifft: "Wir sind Jäger, keine Schädlingsbekämpfer." Das Treffen ist eine Reaktion darauf, dass sich in den waldnahen Stadtteilen die Klagen über Wildschweine häufen und immer wieder Kritik daran geäußert wird, dass zu wenig gejagt werden.
An einem Mangel an Willen und an den rechtlichen Möglichkeiten liegt es nicht: "Uns sind heute schon fast alle Mittel gegeben, sogar nachts können wir mit Nachtsichtgeräten oder Wärmebildkameras jagen. Lediglich auf Bachen mit Frischlingen dürfen wir nicht schießen", erklärt Kaltschmidt. Nur: Die Tiere sind raffiniert und lernen schnell: "Die haben eine gute Erinnerung, wo auf sie geschossen wurde, und diese Stellen meiden sie."
Entsprechend gering ist die Ausbeute: Kaltschmidt ist gut zweimal die Woche auf dem Hochsitz, aber in einem Jahr brachte er nur 15 Wildschweine zur Strecke. Und Rutkowski berichtet von seiner Frau, die Jagdpächterin in Schriesheim ist: "Sie ist fast dreimal die Woche auf der Kanzel, im Moment ist sie einem Keiler auf der Spur. Aber das ist eine zähe Sache." Ihre Bilanz: Acht oder neun erlegte Sauen – pro Jahr. Rutkowski sagt: "Das ist mühsam: Man muss 20 mal draußen sitzen, um einmal die Chance zu haben, ein Tier anzusprechen." Und "Ansprechen" heißt erst einmal nur, ein Tier als solches zu erkennen, geschossen wird da noch lange nicht.
Eine Verpflichtung, wie viel Zeit ein Jagdpächter auf dem Hochsitz verbringen muss, gibt es nicht: "Wir machen das ja in unserer Freizeit", betont Rutkowski. Jedes der sieben Heidelberger Reviere hat mindestens zwei, manchmal drei Jagdpächter, die wiederum das Recht zum Jagen delegieren können: Diese "Untermieter" erhalten sogenannte Begehungsscheine und dürfen alleine in den Wald.
Einige Anwohner haben sich auch schon über das "Kirren", also das Anlocken der Wildschweine durch Futter, beschwert: So würden die Tiere erst in die Nähe der Menschen gelockt. Dem widersprechen die Jäger: "Das ist sehr streng geregelt: Pro 50 Hektar ist eine Kirrung erlaubt – genau ein Kilo Mais, der mit der Waage gewogen wird", sagt Kaltschmidt. Das sei keine Fütterung, sondern durch dieses Anlocken wollen die Jäger erkennen, welche und wie viele Tiere in diesem Revier heimisch sind. Und das betrifft auch die Nähe zu menschlichen Siedlungen: "Wer will, dass dort auf Sauen geschossen wird, muss sich eine Kirrung wünschen", sagt Rutkowski.
Die Verwüstungen von Gärten, die Anwohner immer wieder beklagen, haben einen einfachen Grund: "Die Sauen durchpflügen den Boden auf der Suche nach tierischem Eiweiß, also vor allem Würmern. Und da spielt es keine Rolle, ob ein Zaun da ist oder nicht." In der Regel ließen sich Wildschweine von nichts aufhalten, nur vor Elektrozäunen haben sie Respekt. Aber Kaltschmidt berichtet auch von guten Erfahrungen, die er mit einem Wildschutzzaun aus einfachem Drahtgeflecht gemacht habe: Er muss nur nach außen gebogen sein, damit die Tiere den Zaun nicht unterpflügen können.
Dass die Wildschweinpopulation momentan außer Kontrolle geraten ist, liegt an vielen Faktoren, für die die Jäger nichts können. Zunächst ist das Futterangebot für die Tiere immens: Buchen und Eicheln gibt es seit Jahre im Übermaß, außerdem können sich die Sauen in Maisfeldern, die es verstärkt gibt, wunderbar bedienen. Da es klimawandelbedingt keine strengen Winter mehr gebe, kämen heute auch schwache Tiere durch. Und schließlich vermehren sich die Tiere wie wild: Mittlerweile haben schon Frischlinge Nachwuchs – denn bei dieser Tierart geht es weniger nach dem Alter als nach dem Gewicht. "Diese Kette an Faktoren ist auch für uns Jäger nicht aufzuhalten", sagt Rutkowski.
Und kann man denn nicht einfach mehr jagen? "Wir sind schon am Limit", sagt Rutkowski. Von den früher so häufigen Drückjagden halten er und Kaltschmidt nichts: "Die Stadt Heidelberg organisiert das nicht mehr, weil es zu aufwendig ist. Außerdem waren die Ergebnisse eher gemischt." Denn eine Drückjagd sei nicht ohne, die Jäger müssten darauf aufpassen, dass sie so stehen, dass ihre Geschosse in die Erde treffen – wie es das Gesetz fordert. Das ist auch der Grund, weswegen die Jagd in bewohnten Gebieten so schwer ist: Der Kugelfang, also der Schuss in gewachsenen Boden, muss gewährleistet sein. "Drückjagden sind nicht der Königsweg. Auf die Jagdhörner haben wir schon länger verzichtet, weil die schlauen Tiere deren Töne mitbekommen und sich versteckt haben."
Und was ist mit den hochgelobten Alpakas, die in Ziegelhausen die Wildschweine fernhalten sollen? Eine gute Sache, finden beide, aber auch nicht die Lösung aller Probleme: "Wenn die Sauen merken, dass die Alpakas ihnen nichts tun, verlieren sie die Scheu vor ihnen." Und wie wäre es mit einer Antibabypille für die Wildschweine? "Geht nicht, das können auch andere Tiere aufnehmen."
Bliebe nur die Hoffnung, dass es genug Jäger gibt, um die Sauen-Population in den Griff zu bekommen. Immerhin: Da sieht es gut aus: Pro Jahr gibt es 30 bis 40 neue Jagdschüler, Rutkowski spricht von einem "Boom, gerade auch bei Frauen". Nur: Die Ausbildung dauert drei Jahre. Kaltschmidt ist seit 30 Jahren Jagdpächter, sein Revier ist unterhalb vom Königstuhl, am Hohlen Kästenbaum. Aber auch er erlebt noch Überraschungen: Sein Sohn Jens hat den Wieblinger Neckardamm als Revier. Auf der an sich ja isolierten Neckarinsel fern von jedem Wald erlegten beide auf einmal acht Wildschweine.