Ein Flüchtlingsboot kentert im Mittelmeer. Foto: Italian Navy / Handout / Archiv
Von Selma Badawi
Heidelberg. Mehr als vier Millionen Flüchtlinge befinden sich gerade in der Türkei. Viele leben in Camps, andere in Städten, doch nach Arbeit suchen sie oft vergeblich. Das Land ist überfüllt. Zudem lässt die EU seit drei Jahren Menschen aus Griechenland zurückführen. Die Abgewiesenen landen in türkischen Haftzentren.
Catharina Ziebritzki (29) von "Equal Rights Beyond Borders", einer Rechtsberatung für Flüchtlinge, schockierte damit ihre Zuhörer bei dem Vortragsabend "Die Würde des Menschen ist antastbar". Der Asylarbeitskreis, die Seebrücke, die Diakonie und Verdi Baden-Württemberg richteten die Veranstaltung im Karlstorbahnhof zum 70. Geburtstag des Grundgesetzes aus - als Denkzettel, gerade weil Artikel 1 viele Menschen eben doch nicht schützen kann.
So berichtet Ziebritzki im vollbesetzten Saal über die Situation von Flüchtlingen an der EU-Außengrenze Türkei/Griechenland. Sie war selbst vor Ort auf den griechischen Inseln und weiß um die menschenunwürdigen Bedingungen dort: "Auf einer der kleineren Inseln, Samos, lebten im letzten Winter 4000 Flüchtlinge in einem Camp, das für 850 Personen ausgerichtet ist", betonte sie. Die Leute verelendeten in den Lagern oder würden zurück in die türkischen Haftzentren geschickt.
Und was sagt die EU dazu? "Der Europäische Rat berichtet von 95 Prozent weniger irregulären Grenzübertritten als Erfolg, ohne die menschenrechtlichen Konsequenzen zu berücksichtigen", so Ziebritzki. Die Zuhörer reagierten bestürzt, und je länger sie erzählte, desto mehr hilflose Lacher gingen durch die Reihen. Mohammed Ali (27) war vor wenigen Jahren selbst Flüchtling in Griechenland. Er erzählte: "Ich fühle, was die Leute dort fühlen. Darum gehe ich jeden Monat nach Griechenland, um zu helfen. Ich kann mich von der Lage dort nicht distanzieren."
Als ebenso unwürdig beschrieb Caroline Gritschke (52, Landesbeauftragte für Flüchtlingsschutz von Amnesty International) die Lage der Flüchtlinge in Libyen: "Alle Menschen, die illegal die Grenze übertreten, werden auf unbestimmte Zeit inhaftiert, das ist wohl das Gravierendste, was man wissen muss." In offiziellen Lagern vermuten Hilfsorganisationen etwa 10.000 Inhaftierte. Doch wohl noch mehr vegetieren in Camps von Milizen und Schlepperbanden; die Dunkelziffer schätzen manche Beobachter auf bis zu zwei Millionen.
In den Lagern werden die Menschen am Telefon gefoltert, damit die Familien Lösegeld zahlen und die Gequälten freigelassen werden. Und dann wohin? Zurück ins Elend des Heimatlandes oder aufs Mittelmeer in den absehbaren Tod? Die Seenotrettung ist in den letzten Jahren immer schwieriger geworden. Die Schiffe finden heute kaum noch Häfen oder können nur bedingt zu Brennpunkten vor Libyen durchdringen. Dort hat der Staat kurzerhand internationale Gewässer unter seine Hoheit gestellt und behindert humanitäre Eingriffe.
Die Situation belastete viele im Karlstorbahnhof. Katrin Doller (54) beklagte: "Immer neue Versuche, sich abzuschotten, empören mich, weil wir an den Fluchtgründen mit schuld sind, gerade in Afrika." So manches gesehene Bild wird sie, Mohammed und die anderen Zuhörer nach Hause verfolgen.
Info: Wer sich für Flüchtlinge engagieren möchte, kann am Samstag, 19. Mai, in Frankfurt bei "Ein Europa für Alle!" demonstrieren. Mehr unter www.seebruecke.org.