Von Jonas Labrenz
Heidelberg. Kinderrucksäcke, Relaxsessel, Tablets und mehrteilige Topfsets: Ein Jahr lang bestellte Petra F. (Name geändert) bei Rewe, Lidl und dem Teleshoppingunternehmen QVC Waren im Wert von insgesamt rund 16.000 Euro – und bezahlte nie. Die Pakete wurden oft auf Rechnung an einen Lagerraum in der Eppelheimer Straße geliefert. Bestellt waren sie auf verschiedene Namen: Mal ist es Ex-Daimlerboss Dieter Zetsche, der als Empfänger auftaucht, dann ZDF-Intendant Thomas Bellut oder Heinz Buschkowsky, ehemaliger Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln. Sogar Winfried Kretschmann musste seinen Namen leihen.
Vor dem Amtsgericht musste sich Petra F. nun wegen gewerbsmäßigen Betrugs in 106 Fällen verantworten, weil sie nie beabsichtigt hatte, die Waren zu bezahlen, sondern sich damit ihr Leben finanzierte. Sie war lange selbstständig, konnte aber seit dem Terroranschlag in Nizza nicht mehr arbeiten: Sie stand auf der Promenade des Anglais, als am 14. Juli 2016 ein Attentäter mit einem Lkw durch eine Menschenmenge fuhr und mindestens 86 Personen tötete und mehr als 400 zum Teil schwer verletzte.
Petra F. wohnte nicht weit vom Tatort, hat von dort aus Ferienwohnungen vermittelt und verwaltet. Am französischen Nationalfeiertag sei sie auf das Fest gegangen, "wie immer, um mir das Feuerwerk anzusehen". Dann der Schock: "Auf einmal sehe ich, wie jemand neben mir umfällt." Alle hätten geschrien, "aber ich konnte mich nicht bewegen", erzählt Petra F. mit bebender Stimme und Tränen in den Augen. "Ich dachte, ich bin tot."
Nach dieser Erfahrung igelt sie sich zuhause ein: "Von dem Tag an bin ich so gut wie es geht nicht mehr rausgegangen." Dazu kommen plötzlich Schmerzen in der Brust. Sie denkt, sie hätte einen Herzinfarkt. Schlafen fällt Petra F. schwer: "Ich habe die Bilder die ganze Zeit vor mir gesehen." Die 51-Jährige verliert den Halt. "Es war wie Treibsand – ich wollte mich festhalten, aber es ging nicht." Sie kann nicht mehr arbeiten, lebt anfangs von ihrem Ersparten, bekommt Antidepressiva verschrieben und wird von einer Freundin und der Putzfrau versorgt. Petra F. kommt zurück nach Deutschland. Erst lebt sie in Hamburg, dann in Münster, schließlich zieht sie in die Region und wechselt hier nochmal den Wohnsitz. Ihre Freundin unterstützt sie anfangs noch finanziell, dann schafft die es nicht mehr. Die 51-Jährige bleibt nur noch in ihrer Wohnung: "Ich habe nur auf dem Bett gesessen."
Eine Fernsehdokumentation habe sie dann auf die Idee gebracht, mit der Betrugsmasche an Geld zu kommen. "Man muss schon einiges an Fantasie aufbringen und Durchhaltevermögen haben, um dieses Geschäftsmodell aufrecht zu erhalten", konstatierte Richterin Walburga Englert-Biedert.
Petra F. habe den Lagerraum unter falschem Namen anmieten, außerdem ein Paypal-Konto einrichten und ohne Bankkonto nutzen müssen. Über Paypal lässt sich Geld überweisen, abheben jedoch nicht. Dazu kamen die vielen verschiedenen falschen E-Mail-Adressen. Und dabei hat Petra F. wohl kaum das Haus verlassen. Sie sei nur einkaufen gegangen und habe die Pakete geholt. Immer dann, wenn möglichst wenig Menschen unterwegs waren. Die Ware verkaufte sie online und stellte die Pakete zur Abholung vor die Tür.
Vor der Verhandlung saß Petra F. in Untersuchungshaft. Dort wurde eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. "Ich bin praktisch schon im Knast – meinem eigenen. Wenn man nicht rausgeht, ist es egal, ob die Tür abgeschlossen ist", sagt sie.
Nach der Verhandlung durfte die 51-Jährige gehen: Das Schöffengericht verurteilte sie zu einer Haftstrafe von eineinhalb Jahren – ausgesetzt zur Bewährung. Sie muss sich aber einer Traumatherapie unterziehen und – wenn es ihr in einem Jahr besser geht – 200 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten.