Die WG-Küche wird zum Lernort: Studierende müssen sich in diesen Zeiten noch besser organisieren als sonst. Vor allem die Lesesäle fehlen vielen. Foto: Marko Kohler
Von Ruth Lang Fuentes
Heidelberg. Online-Vorlesungen und -Seminare, geschlossene Mensen, geschlossene Bibliotheken – für die viele Studierenden ist die Lernsituation gerade schwer. So bot bislang beispielsweise das Lernen in der Bibliothek Struktur. Jetzt fordern die Corona-Maßnahmen eine Kompetenz, die schon im regulären Studium eine Herausforderung ist: Selbstorganisation.
Die Klausurenphase an der Universität Heidelberg hat wieder begonnen. Seit Mitte Dezember sind die Bibliotheken in Baden-Württemberg jedoch geschlossen und bleiben es bis mindestens 14. Februar. Lediglich die Ausleihe von Büchern in der Hauptbibliothek Altstadt und der Zweigstelle Neuenheim ist seit dem 13. Januar wieder möglich – aber es bleibt kompliziert. Die Freihandbereiche sind zu, Literatur muss online bestellt und kann dann abgeholt werden. Auch die Fernleihe steht zur Verfügung, Fakultätsbibliotheken sind jedoch weiterhin geschlossen. Immerhin: Die Universitätsbibliothek (UB) hat das Mahnverfahren ausgesetzt, das heißt Abgabefristen müssen nicht eingehalten werden, Säumnisgebühren werden eingefroren.
Ines F. lernt gerade für ihr Staatsexamen, die Schließung der Bibliotheken trifft sie hart: "Ich bin total auf die Bib angewiesen. Die Lernatmosphäre dort hilft mir, besser und länger zu lernen als daheim. Außerdem ist dort kein Kühlschrank in der Nähe." Die geschlossenen Lesesäle zwingen auch sie, kreative Alternativen zu finden. So hat sie jetzt mit ihrer Mitbewohnerin in der Küche einen inoffiziellen Lesesaal eröffnet, wo sie sich gegenseitig beim disziplinierten Lernen unterstützen. "Ich kann aber voll und ganz die Schließung nachvollziehen. Schon vor der Corona-Pandemie galt die Bibliothek als einer der Orte, an dem sich Krankheitserreger am schnellsten verbreiten", erzählt sie. Würde der Lesesaal wieder unter Auflagen öffnen, würde sie deshalb trotzdem erst einmal zu Hause lernen. "Mit Maske am Platz kann ich mich nicht konzentrieren", sagt die Jurastudentin.
Leere Tische in der Universitätsbibliothek: Noch ist völlig unklar, ob die Räume Mitte Februar wieder geöffnet werden. Foto: Philipp RotheAuch Markus S. würde es dann vorziehen, zu Hause zu lernen. "Ich fand diese Regelung vor dem Lockdown zwar super sinnvoll. Persönlich empfand ich die Maske aber als störend. Da versuche ich lieber, mich um Produktivität daheim zu bemühen", meint der Masterstudent. Problematischer fand er den Monat, in dem sogar die Ausleihe geschlossen war. "Das Online-Angebot der Bibliothek ist zwar sehr gut. Für grundlegendende Literatur wäre ich aber ohne die Ausleihe aufgeschmissen", sagt er.
Katharina H. schreibt ebenfalls gerade an ihrer Masterarbeit und würde auch mit Maske gerne wieder den Lesesaal der Bibliothek nutzen. Besonders schränkt sie jedoch die Ausleih-Situation ein: "Durch das Bestellen dauert es viel länger, bis das ausgeliehene Buch zur Verfügung steht. Man muss jetzt mindestens zwei Tage darauf warten." Außerdem gebe es nicht mehr die Möglichkeit, ausgeliehene Bücher einzuscannen. Der Buchscanner steht im Lesesaal, Studierende haben somit gerade keinen Zugriff darauf. "Viele Artikel für meine Arbeit finde ich zum Glück online. Ich vermute, dass reine Geisteswissenschaftler in der Hinsicht mehr auf den Bibliotheksbestand angewiesen sind", sagt die Geografie-Studentin.
Große Probleme haben auch Externe, die zurzeit die Ausleihe gar nicht nutzen dürfen. Darunter fallen beispielsweise kürzlich exmatrikulierte Studierende, wie zum Beispiel Lehramts- oder Rechtsreferendare, die für ihr zweites Staatsexamen eigentlich noch die Dienste der Bibliothek dringend benötigen.
Martin Nissen, Pressesprecher der UB, ist sich der großen Belastung bewusst, die die geschlossene Bibliothek für viele bedeutet. "Uns erreichen viele Anfragen von Studierenden, wann wir denn wieder öffnen würden. Viele leben in beengten räumlichen Verhältnissen oder sind sogar auf das WLAN hier angewiesen. Im Moment ist aber bis auf das Abholen von Büchern grundsätzlich kein längerer Aufenthalt im Gebäude gestattet, dabei müssen wir uns an die Vorgaben des Landes halten", sagt er. Bei dringenden Anliegen bezüglich Quellen und Literatur könne man sich jederzeit an das Team der UB wenden.
Vergangene Woche forderten die Liberalen Hochschulgruppen Baden-Württembergs die Landesregierung in einem offenen Brief auf, die Universitätsbibliotheken im Land zu öffnen. Die Hygienemaßnahmen im Herbst seien ausreichend gewesen, findet Landesvorsitzender Maximilian Reinhardt. "Mir ist kein Fall bekannt, in dem durch das Arbeiten in einer Hochschulbibliothek ein extremes Infektionsgeschehen verursacht wurde", sagt er. An der hiesigen Universitätsbibliothek ist auch UB-Sprecher Nissen kein Corona-Fall bekannt: "Unsererseits hatten wir vor dem Lockdown ein gutes Hygienekonzept entwickelt. Der kürzlich sanierte Lesesaal mit modernen Luftwechselanlagen sorgt zusätzlich für dauerhaft saubere Luft."
Ob am 15. Februar der Lesesaal wieder geöffnet wird, bleibt jedoch fraglich. Nissen glaubt – angesichts der Corona-Mutationen – dass die Chancen gering sind. Diese Prüfungsphase müssen die Heidelberger Studierenden wohl bei sich daheim verbringen, denn im Moment heißt es an der hiesigen Uni nicht "Semper Apertus", sondern "Temporalis Clausus".