Unser Gesprächspartner ist der Dekan der Medizinischen Fakultät Heidelberg und Virologe Hans-Georg Kräusslich. Foto: RNZ
Von Klaus Welzel
Seit Ende März steht Hans-Georg Kräusslich im RNZ-Corona-Podcast Rede und Antwort. In der zwölften Folge hebt er die Gefährlichkeit der Krankheit Covid-19 deutlich hervor.
Prof. Kräusslich, wir sprachen bereits über die Initiative des Heidelberger Physikers Hubert Becker, der dafür plädiert, gesunde, vor allem junge Menschen, sollten sich mit Corona infizieren und dann in Quarantäne die Krankheit durchstehen. So könne man binnen eines Jahres eine Herden-Immunität herstellen. Mittlerweile wurde das Konzept mehrfach überarbeitet. Konnten Sie sich inzwischen damit anfreunden?
Den Ansatz, junge Menschen absichtlich zu infizieren, ohne dass man möglicherweise auftretende schwere Krankheitsverläufe und Komplikationen behandeln kann, halte ich nach wie vor für falsch. Ich würde das in gar keiner Weise unterstützen. Ich bin froh, dass der ursprüngliche Vorschlag, dies mit Geld zu belohnen, gestrichen wurde; dies wäre komplett unethisch. Aber dadurch wird der Ansatz per se nicht besser. Wenn wir eine wirksame Therapiemöglichkeit hätten, um bei schweren Krankheitsverläufen einzugreifen, könnte man vielleicht darüber reden, aber das ist ja nicht der Fall. Wir wissen, dass auch bei unter 40-Jährigen schwere und sogar tödliche Verläufe auftreten und Personen, die zunächst nur geringe Symptome hatten, können auch nach Genesung noch Einschränkungen der Lungenfunktion haben. Insofern halte ich den Ansatz, gesunde Menschen mit dem Virus aktiv zu infizieren, in der Hoffnung darauf, dass schon nichts passieren wird, weiterhin für nicht vertretbar.
Andererseits hält auch der Tübinger Epidemiologe Martin Eichner diese oder ähnliche Initiativen für bedenkenswert – auch deshalb, weil die Verbreitung des Virus ohnehin stattfindet, nur eben unkontrolliert?
Dennoch ist es ein Unterschied, ob ich eine unkontrollierte Verbreitung habe, die ich nicht vollständig unterbinden kann – das passiert ja mit allen anderen Erregern auch –, oder ob ich Menschen, die gesund sind und sich davor schützen könnten, aktiv infiziere, nur mit dem Verdacht, dass ich vielleicht eine Herden-Immunität erreiche.
Was heißt das?
Wir gehen zwar im Moment davon aus, dass Menschen, die eine Infektion durchgemacht haben, immun sind. Ob das wirklich immer so ist und wie lange eine solche Immunität anhält, das wissen wir aber nicht. Sowohl die Antikörpermenge als auch die Fähigkeit dieser Antikörper, das Virus zu neutralisieren, ist bei verschiedenen Menschen sehr unterschiedlich. Auf welcher Grundlage will ich dann Immunität bescheinigen? Wir wissen über die Entwicklung der Antikörperantwort über längere Zeiträume ja noch gar nichts, weil es die Infektion erst seit Kurzem gibt. Insofern wäre noch nicht einmal sicher, ob der Ansatz überhaupt funktionieren würde, selbst wenn man alle Risiken ignorieren würde.
In dieser Woche gab es den Bericht, wonach EU-weit inklusive Großbritannien 230 Kinder mit schweren Entzündungen registriert worden seien – allesamt Covid-19-Patienten. Wie schätzen Sie hier die Gefahr ein?
Es sind bei Kindern unter sechs Jahren Entzündungen der Gefäße berichtet worden, die dem sogenannten Kawasaki-Symptom entsprechen. Diese Krankheit steht in Zusammenhang mit vorherigen Infektionen. Jetzt wurde in einer Studie aus Bergamo, aber auch in Berichten aus anderen Ländern, vermutet, dass die Erkrankung vermehrt nach Covid-19 auftreten könnte. Es ist eine seltene Krankheit und auch jetzt handelt es sich um eine geringe Zahl. Ob ein direkter Zusammenhang zu Covid-19 besteht, kann momentan nicht sicher beantwortet werden. Ich persönlich wäre davon nicht überrascht, da das Krankheitsbild auch als Folge anderer Infektionen gefunden wird. Aber ich möchte betonen: Es bleibt dabei, dass Kinder weniger oft und weniger schwer erkranken als Erwachsene – das ist in allen Regionen so. Außerdem ist die genannte Entzündung weiterhin selten und relativ gut behandelbar.
Um hier anzuknüpfen: Der Druck steigt, eine reguläre Kitabetreuung wieder anzubieten und auch Grundschulen komplett zu öffnen. Wie stehen Sie dazu?
Ich denke, die Evidenz, dass Kinder bei der Verbreitung von Covid eine nicht so große Rolle spielen, hat sich in den letzten Wochen verstärkt. Unsere Studie an der Kinderklinik in Heidelberg zusammen mit Ulm, Tübingen und Freiburg werden wir in Kürze abschließen und hoffen, damit einen Beitrag zu der Frage leisten zu können, wie häufig Kinder im Vergleich zu ihren Eltern infiziert sind. Klar ist bereits jetzt, dass Kinder deutlich seltener krank werden.
Info: Alle Folgen des RNZ-Corona-Podcasts finden sie unter www.rnz.de/corona-podcast.