Mister „Sonderbar“: Michael Markert vor dem Justizgebäude. Foto: Buchwald
Von Holger Buchwald
Heidelberg. Er pöbelt schon mal scherzhaft gegen Altstadt-Bewohner, die juristisch für ihre Nachtruhe kämpfen, und nennt sie wegen ihres Alters "Dörrgemüse": "Die haben früher doch auch die Sau rausgelassen", meint Michael "Michel" Markert im Flur des Heidelberger Amtsgerichts. Kurz zuvor hat der Wirt der "Sonderbar", selbst inzwischen 77 Jahre alt, in den Augen seines Anwalts Lothar Kaufmann einen "Freispruch zweiter Klasse" errungen.
Seit 1971 betreibt Markert das Lokal in der Unteren Straße, über dessen Eingangstür die Worte "Betreutes Trinken" stehen. Drei bis vier Mal die Woche steht er noch selbst hinter dem Tresen. Markert, selbst Einser-Jurist, legt sich aber auch gerne mit den Obrigkeiten an. Dieses Mal geht es beim Amtsgericht um die Sperrzeitenverordnung. Er hatte angeblich am frühen Morgen des 3. Oktober 2018 die "Sonderbar" zu lange geöffnet und bekam dafür von der Stadt ein Bußgeld aufgebrummt. Gegen diesen Bescheid hat er Widerspruch eingelegt.
Mehr als ein Jahr dauerte es, bis es endlich zur mündlichen Verhandlung kam. Die Sperrzeitsatzung, um die es in dem Prozess geht, wurde mittlerweile schon wieder geändert. "Michel" Markert ärgert sich trotzdem immer noch darüber, dass die Stadt im Jahr 2018 auf einmal und ohne Vorwarnung ihre Verwaltungspraxis geändert habe: Seit Jahren sei es in der Heidelberger Altstadt, die als einziger Stadtteil gesonderte Sperrzeiten hat, üblich gewesen, Wochentage vor einem Feiertag wie einen Freitag oder Samstag zu behandeln, so Markert.
Obwohl also der 3. Oktober 2018 ein Mittwoch war, glaubte der Wirt, dass er seine Kneipe erst um 4 Uhr morgens schließen müsste. Für das städtische Rechtsamt hingegen handelte es sich um einen ganz normalen Werktag. Bei der Polizeikontrolle um 2.19 Uhr, zu deren Zeitpunkt sich noch einige Gäste in der "Sonderbar" aufgehalten hatten, hätte diese also bereits seit fast einer Stunde und 20 Minuten geschlossen sein müssen. Die Beamten hätten es bei einer mündlichen Verwarnung belassen, doch Markert bestand auf der Anzeige. "Ich wollte das klären lassen."
Richter Reiner Wolf musste nun herausfinden, wie die Praxis vor 2018 war. Galt für Feiertage, die auf einen normalen Wochentag fielen, die Wochenendregelung? Nein, behauptet Ordnungsamtsleiter Bernd Köster als Zeuge. Vor 2018 hätte jeder Wirt, der an einem Feiertag seine Kneipe länger geöffnet haben wollte, einen Antrag bei der Stadt stellen müssen. Dem widersprachen aber nicht nur Markert, sondern auch zwei seiner Nachbarn: Christine Hartmann, Geschäftsführerin der "Destille", und Simon Wakeling, Betreiber des "Kleinen und Großen Mohren". Niemand habe in den Vorjahren nach einem Antrag gefragt – obwohl auch in der Vergangenheit die Polizei die Wirte an solchen Tagen mehrmals wegen anderer Dinge kontrolliert habe.
Kurioserweise hatten Hartmann und Wakeling beide ganz unterschiedliche Erfahrungen mit der Nacht auf den 3. Oktober: Die "Destille"-Mitarbeiter waren am Abend von der Polizei vorgewarnt worden, dass die Kneipen um 1 Uhr schließen müssten. Wakeling hatte – völlig unbehelligt – seine Kneipen bis zum frühen Morgen offen. Um solche Details geht es jedoch am Ende gar nicht mehr. Richter Wolf stellt das Verfahren ein, zumal die Kneipen nach der neuen Sperrzeitsatzung ganz offiziell an Feiertagen bis 4 Uhr öffnen dürfen. Und "Michel" Markert? Der zündet sich vor dem Gericht erst einmal eine Siegeszigarette an. Ohne Filter. Auch in solchen Details bleibt sich das Raubein treu.