Von Willi Berg
Heidelberg. Für die Heidelbergerin wird die Nacht des 28. Mai zum Albtraum. Die 56-Jährige ist gegen 23 Uhr zu Fuß in der Kirchheimer Straße unterwegs, als sie von einem jungen Mann brutal attackiert und schwer verletzt wird. Das Heidelberger Landgericht hat den Täter aus Trinidad und Tobago jetzt zu fünf Jahren Haft verurteilt. Wegen gefährlicher Körperverletzung, jedoch nicht wie angeklagt auch wegen versuchter Vergewaltigung. Die Strafkammer ordnet zudem die Unterbringung des heute 24-Jährigen in einer Entziehungsanstalt an.
Der junge Mann ist bereits 2015 wegen versuchten Totschlags in Stuttgart verurteilt worden. Wenige Monate nach der Entlassung begeht er in Heidelberg das nächste Verbrechen: Von hinten packt er die Frau, zerrt sie ins Feld und würgt sie. Und das zunächst in der Absicht, das Opfer zu vergewaltigen. Die 56-Jährige schreit und wehrt sich. Der Mann schlägt ihr mit der Faust ins Gesicht, bricht ihre Nase. Erst als sie sagt, dass sie ansteckenden Krebs habe, springt er auf und flüchtet. Kurz darauf wird der angetrunkene und bekiffte Täter von der Polizei verhaftet.
Oberstaatsanwalt Florian Pistor forderte eine sechsjährige Strafe. Auch wegen versuchter Vergewaltigung. Dem ist das Gericht nicht gefolgt. Denn der Angeklagte habe seine Absicht, sich an der Frau zu vergehen, "freiwillig aufgegeben". Möglicherweise habe Mitleid ihn dazu bewegt, so Richter Jochen Herkle.
Der Angeklagte behauptet, er habe die Frau nur "erschrecken" wollen. Und das im Auftrag eines Rauschgifthändlers, von dem er 300 Euro und Cannabis erhalten habe. Der Grund: Die Frau sollte sich nicht in die Geschäfte des Dealers einmischen. Vergewaltigen habe er sie nicht wollen. Das Gericht glaubt ihm nicht, hält diese Version für "widerlegt".
Auch wenn sie "auf den ersten Blick" zur Aussage des Opfers passe. So glaubt auch die Frau nicht an ein sexuelles Motiv. Sie vermutet, dass ihr Ex-Freund hinter der Tat steckt. Dieser sei führendes Mitglied einer Bande, die über Heidelberg Drogen verschiebe. Als sie den Mann bei der Polizei anzeigt, habe dieser den Angeklagten beauftragt, sich an ihr zu rächen.
Für das Gericht ist dies "kaum nachvollziehbar". Die Tat gehe "deutlich" über ein Erschrecken hinaus. Der Ablauf entspreche vielmehr dem eines versuchten Sexualdelikts. So habe der Angeklagte sich auf die Frau gelegt und gesagt: "Ich will dich doch nur f... ." "Die konkrete Tat hat nichts mit einem Auftrag zu tun", ist der Vorsitzende sicher. Auch Oberstaatsanwalt Pistor hält das für ausgeschlossen.
Doch wie kann es sein, dass sich Aussagen von Opfer und Täter zum Motiv des Angriffs gleichen? Pistor vermutet, dass der Angeklagte seine Version nachträglich der Aussage der Frau angepasst hat. Um nicht wegen eines Sexualdelikts verurteilt zu werden.
Vor ihrer Krebserkrankung arbeitete das Opfer eigenen Angaben zufolge als Unfallchirurgin. Bis heute leidet die Frau unter Angstzuständen. Und fühlt sich von der Drogenbande ständig "beschattet". Der Angeklagte habe mit seiner Aussage die Angst der Frau vor einer Drogenmafia bestärkt, so der Richter. Dass eine solche in Heidelberg existiert, dafür gebe es "keine Anhaltspunkte", so der Oberstaatsanwalt.
Der Angeklagte stammt aus Trinidad und Tobago. Im Alter von drei Jahren kommt er mit seiner Mutter nach Deutschland. Als diese erkrankt, wird er zurückgeschickt. Der Junge landet auf der Straße, konsumiert Drogen. Als Jugendlicher reist er wieder nach Deutschland. Wegen versuchten Totschlags wird er in Stuttgart zu vier Jahren Haft verurteilt. Nach seiner Entlassung im Februar sollte er eigentlich abgeschoben werden. Er stellt einen Asylantrag und lebt bis zu seiner Verhaftung in einer Unterkunft in Heidelberg.