Symbolbild: Uwe Anspach/dpa
Von Jonas Labrenz
Heidelberg. Wird der mutmaßliche Vergewaltiger noch vor dem Urteil aus der Untersuchungshaft entlassen? Der entscheidende Zeuge hat in dem Prozess um die Vergewaltigung in der Altstadt große Erinnerungslücken: An ein lautes "Nein", das er laut polizeilicher Vernehmung gehört haben wollte, konnte er sich jetzt – ein Jahr und fünf Monate nach der fraglichen Nacht – nicht mehr erinnern. Verteidiger Thomas Dominkovic beantragte kurz darauf, den Haftbefehl aufzuheben, stellte den Antrag dann aber bis zum nächsten Verhandlungstag zurück.
Dem Angeklagten wird vorgeworfen, in der Nacht vom 10. Juni 2018 um 4 Uhr morgens eine 36-Jährige vergewaltigt zu haben. Die beiden sollen sich in einem Club kennengelernt, gemeinsam geraucht, getanzt und geredet haben und anschließend zu ihrer Wohnung gegangen zu sein. Der Angeklagte sagte aus, sie seien Hand in Hand unterwegs gewesen, alles was danach lief – die Berührungen, die Küsse –, sei einvernehmlich geschehen. Erst als er in sie eingedrungen sei, habe sie plötzlich geschrien. Der junge Mann hält die Anschuldigungen der Frau für Lügen. Bei ihrer Vernehmung am letzten Prozesstag wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen.
Die Staatsanwaltschaft geht nicht davon aus, dass die beiden einmütig zur Wohnung der Frau spaziert sind. Der Angeklagte habe die 36-Jährige vielmehr verfolgt. Auf der Treppe vor dem Haus habe er sie in ein Gespräch verwickelt. Sie habe ihm klargemacht, sie wünsche keine Annäherung, doch er habe sie trotzdem geküsst und berührt. Der Angeklagte habe sie dann auf den Boden gebracht, sie teilweise entkleidet und sei in sie eingedrungen.
Der Nachbar soll durch die Rufe der jungen Frau auf die Situation aufmerksam geworden sein, dann habe der Angeklagte von ihr abgelassen, so die Anklage. So erzählte es auch der Zeuge. Doch an ein "Nein" erinnerte er sich nicht mehr: "Irgendwas, was mich stutzig gemacht hat", habe er gehört und noch einmal aus dem Fenster geschaut. Dabei sei es normal, etwas "Merkwürdiges" wie Schreie zu hören. In der Nähe würden viele Leute ausgehen. "Auf jeden Fall war es kein Blätterrascheln", sagte der 27-Jährige.
Er selbst sei vorher ebenfalls unterwegs gewesen, "aber ich trinke nicht", und sei noch wach gewesen. Als er dann geschaut habe, hätten dort Leute "Geschlechtsverkehr" gehabt. Er habe etwas wie "Hey" gerufen und einen Blumentopf auf die Straße geworfen: "Um einen Schockzustand hervorzurufen." Der Mann sei weggelaufen, die Frau habe sich aber nicht wieder angezogen, deshalb sei er mit einer Decke runter, habe den Nachbarn von der Straße aus gesagt, sie sollten die Polizei rufen.
"Sie hat plötzlich geweint", sagte der Zeuge. Er sei sich sicher, sie habe getrunken: "Ich wollte das eigentlich nicht wissen." Ein "Ohr abgekaut" habe sie ihm. Später sei die Polizei gekommen, er wurde verhört, einen Tag später noch einmal angerufen. Der Zeuge erinnert sich nicht, sagt aber: "Ich glaube meinem Polizeibericht von damals mehr als mir jetzt."
Was er aber noch erinnere: Sie habe sich bei ihm entschuldigt. Wofür, wollte Verteidiger Dominkovic wissen. Vielleicht, weil sie ertappt worden waren, so der Zeuge. Allerdings könne er nicht sagen, dass sie auf ihn den Eindruck gemacht habe, als sei sie ertappt worden. Genau darauf kommt es Dominkovic an: Sein Mandant hatte gemutmaßt, die Frau habe deshalb geschrien, weil sie jemanden gesehen habe und es ihr peinlich gewesen sei. Deshalb sei es zum Vorwurf der Vergewaltigung gekommen.
Am Donnerstag, 28. November, werden weitere Zeugen vernommen. Oberstaatsanwältin Christiane Vierneisel hat sich schon zur vorzeitigen Entlassung geäußert: "Ich trete dem Antrag vehement entgegen." Entscheiden muss das jedoch der Vorsitzende Richter André Merz.