Von Holger Buchwald
Heidelberg. Der Asylarbeitskreis und die Initiative "Rohrbach sagt Ja" will weiter dafür kämpfen, dass Ruzdi Ramadani (29) mit seiner Frau und den vier Kindern zwischen sieben und drei Jahren zurück nach Heidelberg kommen darf. Die Sechs wurden am 17. Januar mitten in der Nacht aus ihren Betten in Rohrbach geholt und nach Serbien abgeschoben. Bei der Bürgerfragestunde des Gemeinderates setzte sich nun die Schwester von Ruzdi Ramadani, Sabina Ramadani (15), die mit ihren Eltern und ihrer Schwester 2010 nach Deutschland gekommen war, für den ein Jahr später nachgezogenen Bruder ein. Den abgeschobenen Verwandten gehe es in Serbien sehr schlecht, betont Sabina, die sich im Heidelberger Jugendgemeinderat engagiert.
Hattest Du viel Kontakt mit Deinem Bruder und seiner Familie?
Sehr viel. Ich bin immer nach der Schule zu ihnen gegangen, habe mit den Kindern gespielt, mit ihnen Hausaufgaben gemacht. Im Sommer war ich mit ihnen im Schwimmbad. Ich bin praktisch mit ihnen aufgewachsen. Mit den Kindern habe ich nur Deutsch gesprochen, sie können fast gar kein Serbisch.
Im Gemeinderat hast Du berichtet, dass Du bei der Abschiebung dabei warst.
Es war so schrecklich. Es ist wie ein Horrorfilm für mich. Ich wohne mit meinen Eltern auf dem Boxberg, mein Bruder am Rohrbach-Markt. Morgens, um 2.30 Uhr hat er bei uns angerufen: "Kommt schnell. Bei uns steht die Polizei vor der Tür." Wir haben das alles zuerst gar nicht geglaubt. Doch dann sind wir, so wie wir waren, im Pyjama runter nach Rohrbach gefahren. Da sahen wir die zwei großen Polizeikombis und einen Streifenwagen, fünf oder sechs Beamte im Hof, weitere auf der Straße. Sie gaben meinem Bruder nur noch Zeit, seine Koffer zu packen. Wir durften nicht zu ihm. Die Polizisten sagen, wir dürften nur mit ihm reden, wenn er rausgekommen ist.
Habt Ihr versucht, die Abschiebung zu verhindern?
Wir haben sofort unsere Anwältin angerufen. Doch die Polizisten wollten gar nicht mit ihr reden. Darüber hat sich meine Mutter so schrecklich aufgeregt, dass sie kollabiert ist. Sie musste mit dem Rettungswagen abgeholt werden. In der Aufregung wussten wir erst gar nicht, in welches Krankenhaus sie kommt. Dann, auf einmal, sehe ich, wie meine Nichten auf der Straße laufen. Sie fragen mich: "Tante, was passiert hier? Warum ist die Polizei da?" Ich habe aus tiefstem Herzen geweint.
Was haben Sie Dir geantwortet?
Ich konnte mir ja selbst nicht erklären, was da passiert. Ich habe sie vielleicht 30 Sekunden umarmt. Mein Vater wollte gerade meinen Neffen trösten. Da haben die Polizisten ihm den Kleinen aus der Hand gerissen. Dabei ist er gerade einmal drei Jahre alt! Es kam zu einem Konflikt zwischen meinem Vater und dem Beamten, sie haben sich fast Nase an Nase berührt. In der Zwischenzeit haben andere Beamten meinen Bruder, meine Schwägerin und die Kinder in ein Polizeiauto gesetzt. Mein Vater hat gegen den Blinker getreten. Dann haben sie ihn auch gleich mitgenommen. Die haben uns behandelt wie Tiere, haben meinen Vater rumgeschubst. Ich habe nur noch geschrien. Plötzlich sind alle weggefahren.
Und Du warst dann ganz alleine?
Ja, ich konnte nicht einmal in die Wohnung meines Bruders. Denn die Polizisten hatten ihm die Schlüssel abgenommen. Ich hatte die Beamten noch gefragt: "Was passiert jetzt mit mir?" Doch sie haben mich einfach zurückgelassen. Dabei bin ich doch erst 15, und es war mitten in der Nacht. Zum Glück ist mir eingefallen, dass meine Klassenlehrerin zu mir gesagt hat, dass ich sie immer und jederzeit anrufen könne. Sie ist nach 20 Minuten gekommen. Kurz darauf kam auch mein Vater zurück.
Habt Ihr zu diesem Zeitpunkt schon aufgegeben?
Nein. Wir waren noch am frühen Morgen bei Bürgermeister Wolfgang Erichson. Ich habe Rotz und Wasser geheult, mein Vater hat ihn angefleht. Doch er meinte nur, ihm seien die Hände gebunden, er könne nichts mehr machen. Er wirkte hart und kalt auf mich. Ich glaube, er hätte den Flug um 9 Uhr noch stoppen können. Als es zu spät war, haben wir wenigstens versucht, dass mein Bruder wieder mit der nächsten Maschine zurückfliegen kann. Das war aber leider nicht so. Seitdem kämpfen wir immer noch, die Sechs zurückzuholen. Rafis und Medina sind doch hier geboren. In Serbien haben sie nicht einmal eine Geburtsurkunde. Was passiert, wenn sie dort einmal krank werden. Die sind doch gar nicht dort gemeldet.
Wie geht es Deinem Bruder und seiner Familie jetzt?
Sie haben in Serbien gar nichts. Die Kinder verweigern das Essen und wollen unbedingt zurück nach Deutschland. Ihre Kleider sind ihnen schon zu groß geworden, so viel haben sie abgenommen. Sie sagen: "Wir essen erst wieder, wenn wir in Deutschland sind." Die denken, die sind dort unten zu Besuch.
Habt Ihr oft Kontakt?
Wir schreiben täglich per WhatsApp, mindestens ein Mal die Woche versuchen wir auch, miteinander zu telefonieren. Aber das Internet in Serbien ist auch nicht so gut. Das kostet alles. Und mein Bruder hat ja jetzt schon kein Geld. Sie leben von dem, was ihnen meine Eltern schicken und von Spenden des Asylarbeitskreises. Mein Bruder hat noch keine Arbeit gefunden. Da unten gibt es Rassisten, die geben Roma keine Arbeit. Hier in Deutschland hätten sie Zukunft. Dort unten haben sie nichts.
Wo lebt Dein Bruder eigentlich?
Am Anfang war er ein paar Tage auf der Polizeistation, dann bei Freunden. Er hat eine Wohnung in Subotica gefunden, die ist aber auch zu teuer.
Viele Menschen in Rohrbach unterstützen Euch. Hilft Dir das?
Wegen ihnen habe ich immer noch Hoffnung. Ich danke allen, die uns helfen und unterstützen. Wow, es gibt noch Menschlichkeit! Am Anfang habe ich gedacht, wir schaffen das niemals, meine Familie zurückzuholen Doch vielleicht schaffen wir es gemeinsam.
Wie geht es jetzt weiter?
Unsere Anwältin hat noch einmal einen Brief geschickt, wir gehen vor Gericht und hoffen, dass die Richter für uns entscheiden.
Oberbürgermeister Würzner sagte im Gemeinderat: Er habe keine Chance, Deinen Bruder zurückzuholen, weil er die Ausbildung abgebrochen habe.
Das lag nicht an meinem Bruder. Er war zuerst hier in Heidelberg in der Carl-Bosch-Schule. Das lief gut. Er hat in drei Monaten den Stoff von einem ganzen Jahr nachgeholt. Doch dann hat man ihn nach Sinsheim geschickt. 40 Kilometer hin, 40 zurück. Mit kleinen Kindern Zuhause, die auch mal krank sind. Kein Geld für den Sprit. Er hat sogar Nachhilfe genommen. Auch ich wollte ihm helfen, doch die Aufgaben waren für mich zu schwer. Zu viele Fachbegriffe. Mein Bruder ist nicht faul. Am Tag seiner Abschiebung hätte er einen Arbeitsvertrag unterzeichnen sollen. Er konnte seine Familie ernähren, auch meine Schwägerin hatte einen Nebenjob. Und die Kinder, die sind doch hier integriert. Gehen hier in den Kindergarten und zur Schule! Wie kann man nur so jemanden abschieben.